„We could be heroes, just for one day“, skandierte David Bowie einst. Warum ich den Helden gegen das Burgfräulein tausche, zuvor meinen Frust über kaputte Stempelstellen verdauen muss und was es mit der alten Poststraße, einer herrschaftlichen Talsperre und einer Gaststätte im 70er-Jahre-Stil auf sich hat? Das erfahrt ihr in diesem Bericht.

Wir starten in Neustadt. Welches der 27 Neustädte in Deutschland denn? Es ist Neustadt am Harz. Der Flecken liegt in Thüringen und ist ein staatlich anerkannter Luftkurort. Die Gemeinde hat sehr schöne Fachwerkhäuser, einen Roland, eine Bank, auf der man lügen darf und ein altes Stadttor.

Auf historischen Wegen

Wir verlassen Neustadt in Richtung Felsentor, das aber gar kein Tor im eigentlichen Sinne ist (ein typischer Fall von „Verbrechen am Verbraucher?“). Vielmehr handelt es sich dabei um eine Felsformation, die der gemeine Tourist schwerlich als Tor erkennen wird. Unser erstes Ziel ist die Neustädter Talsperre, die HWN 218. Wir wandern auf der Alten Poststraße zwischen Nordhausen und Braunschweig. Bis zum Jahre 1820 wurde sie für diesen Zweck genutzt. Heute ist die Alte Poststraße ein befestigter und gut ausgeschilderter Wanderweg. Eine historische Verkehrsader mit Flair – trotzdem bin ich froh, dass meine „Postkutsche“ heute Morgen motorisiert war.

Dann erreichen wir die Neustädter Talsperre – unser erstes Ziel. Sie wurde zwischen 1904 bis 1905 erbaut. Es handelt es sich dabei um eine Stauanlage aus Staumauer, Stausee und Wasserkraftwerk. Leider ist die Talsperren-Mauer nicht begehbar. Das Besondere ist, dass es sich bei der Anlage nicht um eine bloße Betonkonstruktion handelt, sondern dass man den Eindruck erhält, man erreiche über die Staumauer ein herrschaftliches Anwesen mit Türmchen, Freitreppe und eleganter Auffahrt. Als kleiner Tipp: vor der Talsperre geht ein kleiner Treppenweg hinauf, der zu einem tollen Ausblick auf die Sperrmauer führt.

Stempelfrust statt Wanderlust

Wir kassieren den Stempel 218 ein und ziehen weiter. Zunächst geht es fast einmal um die Talsperre herum, dann wandern wir weiter Richtung Hufhaus. Auf dem Weg sollte noch die Stempelstelle HWN 94, die Drei-Herren-Steine, liegen. Die hätte ich beinahe sprichwörtlich „links liegen gelassen“, weil mir, schwer vertieft in eine Unterhaltung, diese zwar am Wegesrand liegende aber sehr unscheinbare Stempelstelle überhaupt nicht aufgefallen war. Das wäre vielleicht auch besser gewesen, denn dann wäre mir der erneute Ärger darüber, dass mal wieder ein paar Vollidioten das Stempelgummi geklaut hatten, erspart geblieben. In diesem Jahr hatte ich auf fast jeder Wanderung kaputte Stempel – langsam nervt es richtig.

Der Ärger musste dringend mit einem doppelten Espresso und einem Baileys auf Eis (dem sogenannten Damengedeck) weggespült werden. Und wer einmal einen meiner Temperamentsausbrüche erlebt hat, der weiß, dass jede Italienerin eine Schmusekatze dagegen ist. Da kommt uns die Waldgaststätte Hufhaus auf dem Weg gerade recht. Das Hufhaus liegt bei einer Höhe von 530 m ü. NN über dem Hufnageltal unweit des Poppenbergs. Früher war es ein Gestüt, das 1704 allerdings ausbrannte. Lange Zeit wurde das Hufhaus dann als Forsthaus genutzt. Die Waldgaststätte hat eine schöne Terrasse, das Innenleben der Lokals ist allerdings in den 70er Jahren stehen geblieben. Immerhin wartet der Betrieb mit einem rührigen Kellner auf und drinnen ist gerade das Viertelfinale zwischen Schweden und England angelaufen. Spontan entscheide ich mich dafür, dass ich den Jungs mit den „three lions on the chest“ den Rest der WM die Daumen drücken werde. An dem Tag klappt es, England gewinnt mit 2:0 Toren.

Der Burgfräuleintraum

Unsere nächste und auch letzte Etappe auf dieser schönen Wanderung war die Ruine Hohnstein. Unter einer Ruine stelle ich mir ein paar Steine vor, die man mit viel Fantasie im Kopf zu einem Gebäude zusammensetzen muss, um sich ein Bild von der ehemaligen Pracht zu machen. Nicht so aber bei der Burguine Hohnstein. Mein Burgfräuleinherz schlägt also höher als wir die Mauern der Ruine erreichen. Im warmen Abendlicht erstrahlen die Steine zu neuem Leben. Wir überqueren zunächst die herrliche Terrasse des Burgasthofes und steigen dann die Stufen zum höchsten Aussichtspunkt der Burg hinauf. Von dort genießen wir einen wahrhaft traumhaften Blick auf Neustadt, den Gondelteich und die Umgebung. Die mystische Atmosphäre des Ortes hat mich sofort vereinnahmt. Ich plane also bereits meinen ersten Burgsitz, fehlt nur noch der stattliche und wagemutige Ritter in scheinender Rüstung!

Schnatterinchen im Ausnahmezustand

Wir verlassen die schöne Burguine Richtung Neustadt und erreichen zunächst den idyllisch gelegenen Gondelteich unterhalb von Hohnstein. Dort treffen wir auf einen ganzen Schwarm von verwöhnten und immer hungrigen Enten. Schnell spricht sich die Kunde vom unerwarteten Abendbrot herum – es kommen immer mehr Enten, das Geschnatter wird immer lauter, das Gerangel immer heftiger. Auch zwei Karpfen versuchen zu ihrem Recht zukommen, sind gegen die Übermacht der Enten aber chancenlos.

Wir genießen noch einmal den Gang durch das abendliche Neustadt, bewundern die sonnenbeschienen Fachwerkhäuser und schwärmen von einem wundervollen Wandertag, der leider zu Ende geht. Mein Dank gilt dem kundigen Wanderführer.

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