Corona-Tagebuch: Meine Reise in die Vergangenheit

Christina/ Juni 25, 2020/ Alltagsgeschichten

Am letzten Dienstag ist es soweit: Bei allerschönstem Sommerwetter besteige ich am Vormittag im Braunschweiger Bahnhof den Zug nach Helmstedt, um meine lang geplante Reise in die Vergangenheit anzutreten. Vorfreude und Anspannung halten sich die Waage. Noch ahne ich nicht, dass ich am späten Nachmittag wieder in den Zug steigen werde und mittlerweile in der Gegenwart angekommen bin. Zwischendurch treffe ich auf Altbekanntes aber auch auf einige Überraschungen.

Begrüßung durch den Berliner Bär
Am Bahnhofsausgang, genauer gesagt am Treppenaufgang zur Stadt, begrüßt mich der kleine Berliner Bär. Die ca. 1 Meter große in Bronze gegossene Statue steht etwas verloren auf einem Sockel, unterhalb steht eine Bank zum Verweilen. Ja bin ich denn schon in Berlin? Erste Erinnerungen aus Kindheitstagen werden wach, denn Meister Petz steht hier schon eine gefühlte Ewigkeit. Warum der Bär dort steht entzieht sich meiner Kenntnis. Vielleicht ein Relikt aus den Zeiten der deutsch-deutschen Teilung, um die Verbundenheit mit der damals isolierten Stadt Berlin zu bezeugen? Schließlich haben damals einige Berliner ihr Ferienhäuschen in Bad Helmstedt gehabt. Zu der Zeit wehte auch noch der Flair des ehemaligen mondänen Kurbades durch das Brunnental.

Begegnung mit der Vergangenheit
Meinen Besuch in der Kreisstadt beginne ich mit einem Rundgang durch meine Kindheit: mein ehemaliges Elternhaus, das Haus, in dem meinen Oma wohnte, der Friedhof, Kindergarten, die Grundschule und das Gymnasium stehen auf dem Programm. Zunächst fällt mir auf, dass ich als Kind Größen und Entfernungen ganz anders wahrgenommen habe. Der Park hinter unserem Haus kam mir damals viel größer und die Strecke zu meiner Oma viel weiter vor. Interessant ist auch, dass sich außer der Verbreiterung einiger Straßen und einer veränderten Verkehrsführung zumindest in dieser Ecke nicht viel verändert hat. Ich erkenne alles nach über 20 Jahren wieder. Der ein oder andere Bolz- oder Spielplatz ist nicht mehr da, ansonsten alles wie immer.

Neue Fahrrad- und Wanderwege
Ich folge dem Elzweg ein Stückchen stadtauswärts. Hier bin ich als Kind oft Rad gefahren oder habe meine ersten Joggingversuche gestartet. Zwischenzeitlich ist dieses Areal von Fahrradwegen nach Braunschweig, zum Lappwaldsee oder nach Schöningen durchzogen. Auch der 4-Wälder-Wanderweg (RW 4) startet hier. Ich genieße die Ruhe und mache eine kleine Tour zum Lappwaldsee. Von dort gehe ich zum St. Stephani-Friedhof. Auch hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Über die Beendorfer Straße gehe ich zu meinem ehemaligem Gymnasium: dem Julianum Helmstedt. Ich kann es kaum glauben, der Sportplatz der Schule sieht noch exakt so aus, wie in den 90er-Jahren.

Anruf aus Lettland
Während ich gedanklich bereits beim Ludgerihof bin, klingelt mein Handy. Das ist mein Bruder, wie passend. Wir tauschen alte Erinnerungen aus Helmstedt aus und wieder bin ich darüber erstaunt, wie unterschiedlich die Wahrnehmungen der Begegebenheiten sind. Wir stellen fest, dass in Helmstedt vielleicht nie viel los war, aber idyllisch war es auf jeden Fall auch. Hektik und Stress waren damals eher Fremdwörter. Wehmut nach der Gelassenheit macht sich kurzfristig in mir breit. Dann geht es aber schon wieder weiter. Es ist bereits Nachmittag und ich habe noch einiges auf dem Programm.

Von der Goethestraße gehe ich in Richtung Ostendorf, wo meine ehemalige Grundschule liegt. Auf dem Weg dorthin mache ich noch im schön restaurierten Ludgerihof Station. Der Ludgerihof, ein ehemaliges Kloster, ist in meinen Schülertagen nur eine Ruine gewesen und die meiste Zeit war der Zugang zum Gelände gesperrt. Hier hat sich doch einiges verändert.

The New Number One
Über den Ostendorf mit seinen schönen Fachwerkhäusern und die Magdeburger Straße geht es schließlich zum Papenberg und damit zur „Amüsiermeile“ Helmstedts. Und da ist er auch schon, der ehemalige Hotspot aus meinen Jugendtagen, der „Place to be“: die Diskothek „Number One“ (jetzt: New Number One). Damals war der Einlass erst ab 18 Jahren erlaubt. Wenn man es als 17-jährige Samstagabend am Türsteher vorbei geschafft hatte, dann war der Tag gerettet. Obligatorisch war damals das „Vorglühen“ im gegenüberliegenden Bistro mit einer „grünen Wiese“ oder einem guten Andechs-Bier.

Oberhalb vom Papenberg, in der Beguinenstraße, besuche ich noch meinen ehemaligen Kindergarten und die St. Stephani-Kirche, in der ich getauft wurde und meine Konfirmation hatte. Von dort aus geht es auf den Holzberg und damit ans Eingemachte: der Besuch der Helmstedter „Fuze“, der Neumärker Straße, steht an.

Rund um das Juleum
Zunächst streife ich die Neumärker Straße nur kurz. Es zieht mich auf den Marktplatz. Dort erspähe ich das älteste Wohn- und Geschäftshaus der Stadt. Jetzt bin ich doch erstaunt. Nicht nur darüber, dass der Marktplatz mittlerweile sehr geschäftigt wirkt mit seinen Cafés und Außenplätzen, sondern auch über die Tafeln an den Häusern, die über (universitäts-)geschichtliche Ereignisse informieren. Hat es das in meiner Kindheit auch schon gegeben? Ich meine nein. Auffällig ist auch, wie viele von den Fachwerkhäusern inzwischen rund um den Marktplatz, die Schuhstraße und die Streplingerode renoviert sind. Seinerzeit war das hier eigentlich nicht gerade die beste Wohngegend.

In dem Quartier mache ich nun staunend Bekanntschaft mit den Professorenhäusern. Die muss es in meiner Kindheit auch schon gegeben haben, vermutlich hatte ich damals aber kein Auge dafür. An dieser Stelle bin ich positiv überrascht, was meine ehemalige Heimat doch so alles zu bieten hat. Dass Helmstedt eine alte Universitätstadt ist, wusste ich, nicht aber, dass Helmstedt auch einmal Hansestadt war. An dieser Stelle entdecke ich die Kreisstadt noch einmal neu. Ich merke plötzlich, wie die Zeit verfliegt und ich habe ja noch gar nicht alles gesehen.

Ich erreiche den Collegienplatz und komme somit zum baugeschichtlichen Highlight der Stadt: dem Juleum. Das Juleum in Helmstedt ist immerhin die älteste erhaltene Universitätsaula Nordwestdeutschlands. Gegenüber des Juleums liegt meine ehamlige OS, die mittlerweile zur Kreisvolkshochschule umfunktioniert wurde. Über die Stobenstraße geht es zurück auf die Neumärker. Hier begegne ich zwei weiteren Wahrzeichen der Stadt. Das offizielle Wahrzeichen ist der Hausmannsturm von Helmstedt, in dem früher der Hausmann wohnte und entweder die Bürger vor einem Feuer warnte oder Musik machte.

Wo sich die Schickeria trifft
Das zweite Wahrzeichen der Neumärker, wenn es auch kein offizielles ist, ist sicherlich das Café Förster, eine Institution. Wer in meinem Kindertagen etwas auf sich hielt, verkehrte dort und kaufte in dem Café seinen Kuchen für die Gäste. Und ich muss sagen, sowohl die halbgefrorene Grillagetorte als auch das Zitronenomelette waren schon ein Gedicht.

Ganz hemdsärmlich und gutbürgerlich ging es dagegen bei „Heinz“ zu, dem „Kalt & Heiß Imbiss“ auf dem Gröpern. Für mich gab es zu jener Zeit nach einem Hallenbadbesuch nichts Besseres als eine doppelte Portion Pommes Frites rotweiß auf die Faust.

Anlass zur Rückkehr
Die Zeit drängt und so schließe ich mit einem Spaziergang über den Batteriewall Richtung Bahnhof meinen heutigen Besuch ab. Zwei Dinge habe ich leider an diesem Tag nicht mehr geschafft: Erstens, den Rundgang über Helmstedts historische Wallanlage, eine Tour, die ich früher sehr oft und sehr gerne gemacht habe. Zweitens, der Besuch des Waldbads Birkenteich, ein wirklich schönes Freibad in herrlicher Umgebung. Tja, dann muss ich wohl nochmal wiederkommen.

Zum Weiterlesen:

Share
Share this Post