Ghosting und blame-shifting in Beziehungen

Christina/ Februar 9, 2024/ Kategorien

Ist Ghosting eines reines Online-Dating Phänomen? Keineswegs. Ghosting, dieser Begriff bezeichnet den plötzlichen, radikalen, zumeist unverständlichen Kontaktabbruch, der sprichwörtlich aus dem Nichts her`?aus kommt. Psychologen sagen, dass dahinter zumeist eine unsichere, konfliktscheue Person stecke, die ihre Gefühle wichtiger nimmt als die des Gegenüber. Und was ist mit dem „geghosteten“ Partner? Ist es ein Grund zum Verzweifeln, wenn man selbst Opfer eines „Ghost“ wurde? Ich meine nicht. Da halte ich es mit Miley Cyrus und ihrem Grammy-award-winning song „Flowers“: „I can love me better than you can!“

Bin ich in einer toxischen Beziehung?
Jetzt gilt es zunächst, ein paar Begriffe aus der Psychologie zu klären und vorzustellen. In den letzten Jahren haben einige Begriffe aus der Psychologie Einzug in die Alltagssprache erhalten. Leider birgt das immer die Gefahr, dass die ursprüngliche wissenschaftliche Definition verwässert wird. Der prominenteste Begriff dürfte wohl der des Narzissten sein, der zwischenzeitlich über die Gebühr Einsatz findet. So verhält es sich auch mit dem Begriff der toxischen Beziehung. Nicht jede Verbindung ist toxisch, weil es vielleicht nicht gut läuft. Es gibt jedoch Indikatoren für eine enge aber schlechte Beziehung, die eben vergiftet ist. Einer der markantesten Merksätze ist vielleicht dieser: „In einer toxischen Beziehung bekommt man seine Wünsche nicht erfüllt bzw. durchgesetzt. Der ‚toxische‘ Partner ist radikal, ja kompromisslos in seinen Ansichten“. Das gesundheitsschädliche Verhalten des Partners kommt oft in Kombination mit dem so genannten „blame-shifting„. Wie der Begriff bereits impliziert, schiebt in diesem Falle der eine Partner dem anderen immer für alles die Schuld zu mit dem Motiv, seiner eigenen Verantwortung zu entgehen.

Blame-Shifting
Was steckt hinter diesem Muster? In erster Linie möchte der Blame-Shifter für sein Verhalten keine Verantwortung übernehmen. Er oder sie ist vermutlich konfliktscheu mit einem geringen Selbstwertgefühl. Ungute Gefühle möchte diese Person vermeiden. Die Hauptemotion dieses Charakters ist Wut. Er oder sie betreibt ein manipulatives Machtspielchen und möchte sein Gegenüber bestrafen, indem er oder sie gezielt eine andere Person schädigt, indem er oder sie sich der eigenen Verantwortung entzieht oder eben einfach verschwindet.

Dieses Verhalten ist nicht nur irritierend, sondern auch sehr verletzend. Und darum geht es letztendlich, den Schaden für die eigene Persönlichkeit, die eigene Gesundheit zu begrenzen. Und jetzt fragt ihr euch vielleicht, warum ich das alles hier erzähle. Nun, aus eigener Erfahrung. Wie sagte meine Großmutter immer so schön: „Aus Fehlern wird man klug, darum ist einer nicht genug.“ Und genauso ist es.

Der Kern der Geschichte
Zwei Tage nach Neujahr war die Welt noch in Ordnung. Wir kommen aus dem „Zwischen-Weihnachten-Neujahr“-Urlaub zurück. Ich bin stark erkältet und leide auf der Rückfahrt mit dem Zug wie ein Hund. Die Nase läuft unerlässlich, ich bekomme kaum Luft und zähle die Minuten bis zur Ankunft im Heimatort. Als es endlich geschafft ist, steht noch die Busfahrt nach Hause an. Es regnet in Strömen, auch das noch. Mein Freund will zu Fuß nach Hause gehen. Als der Bus endlich eintrifft, steige ich ein. Ich fühle mich so elend, dass ich nur noch zu einem kurzen „Tschüß“ fähig bin. Noch ahne ich nicht, dass dies der letzte Kontakt zwischen uns sein wird.

Am nächsten Tag schicke ich meinem Freund noch eine SMS. Ich habe ihm Geld für die Reise überwiesen und teile ihm das mit. Keine Reaktion. Das verwundert mich zunächst nicht – er ist nicht besonders kommunikativ. Am folgenden Samstag, also drei Tage später, sind wir mit meinen Nachbarn zum Essen verabredet. Mein Freund weiß das. Es herrscht weiterhin Funkstille. Auch ich nehme keinen Kontakt auf, weil ich dieses Spielchen bereits kenne und diesmal nicht darauf einsteigen möchte. Als ich bis Samstag nichts von ihm höre, ahne ich bereits, dass seine Bestrafung – für was auch immer – darin bestehen wird, dass er einfach nicht zur Verabredung mit den Nachbarn erscheinen wird.

Ich überlege, wie ich damit umgehen soll. Soll ich den Termin mit einer fadenscheinigen Ausrede absagen? Aber warum? Weil es mir peinlich ist, dass mich mein Freund hängen lässt? Nur, warum sollte mir das eigentlich peinlich sein, frage ich mich. Ist es nicht vielmehr so, dass er sich blamiert? Ich entscheide mich anders. Plötzlich kommt mir ein Gedanke, der die Situation für mich erhellt und mir deutlich macht, wo ich gerade stehe, nämlich an der Schwelle zur „Überwindung des inneren Schmerzes“.

Die Überwindung des inneren Schmerzes
Ich denke nach, reflektiere die letzten Wochen und tatsächlich, jetzt macht alles Sinn. Es ist noch vor Weihnachten. Ich sitze abends auf meiner Couch und sinniere so vor mich hin. Wie durch eine Eingebung werden meine Gedanken unerwartet auf meine Siebenerlegung gelengt. Das mag jetzt erst einmal merkwürdig klingen, aber in dem Moment war mir klar, dass ich meinen inneren Schmerz noch nicht überwunden hatte. Die Wunden aus der Kindheit waren mittlerweile gut geheilt, aber die Abnabelung von meinem Freund, der auch Teil meiner Vergangenheit ist, stand noch aus. Und genau den Punkt hatte ich an diesem 6. Januar 2024 erreicht. So komisch es klingt, für mich fühlte es sich in dem Moment so an, als würde eine Last von meinen Schultern fallen. Ein Gefühl der Freiheit und Offenheit überkam mich. Plötzlich wusste ich, dass ich zu dem Pizzaessen gehen kann und dass ich mich nicht dafür schämen muss, alleine dorthin zu gehen. Und so war es dann. Die Nachbarn waren dann auch taktvoll genug, erstmal nicht weiter nachzufragen. Sie haben sich auch ihren Teil gedacht, wie ich dann später erfahren habe.

Der Sturm vor der Stille
Vielleicht fragt ihr euch noch, ob das Ende dieser 40jährige On-Off-Beziehung absehbar war. Gab es so etwas wie den Stille vor dem Sturm, wie er von Tina Soliman beschrieben wird? Ich denke ja, die hat es sicherlich gegeben. Ansonsten wäre mir vermutlich nicht der oben beschriebene Gedanke auf dem Sofa gekommen. Ob ich die Zeichen dann gleich wahrnehmen wollte? Vielleicht nicht. Letztendlich habe ich dann das Schicksal für mich entscheiden lassen. Mir ist noch die Frage einer Bekannten im Ohr geblieben: „Aber, haben Sie nicht versucht, Kontakt aufzunehmen. Waren Sie nicht neugierig, was der Grund für den Kontaktabbruch ist.“ Die Antwort ist: nein. Ich habe das Gefühl, dass alle meine Fragen bereits durch die Vergangenheit beantwortet waren.

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