Buch-Rezension: Otto Tutschkes Reise nach Palästina

Christina/ Juni 25, 2021/ Kultur

Die Person des Pfarrers Otto Tutschke aus Friedersdorf bei Zittau mag einem nicht geläufig sein. Sicherlich würde man ihn nicht zu so bekannten geschichtlichen Persönlichkeiten zählen wie etwa einen Johann Wolfgang von Goethe, Alexander von Humboldt oder Friedrich Schiller. Und trotzdem hat genau dieser Otto Tutschke etwas ganz besonderes unternommen, von dem es sich zu erzählen lohnt: eine Reise von seiner Oberlausitzer Heimat nach Palästina und zwar im Jahr 1895. Von dieser Reise und den Erlebnisses des Pfarrers Tutschke handelt das Buch Reiseerinnerungen aus drei Erdteilen – insbesondere aus Palästina. Die liebevolle, detailreiche und unterhaltsame Aufarbeitung von Tutschkes Niederschriften haben wir dem Ehepaar Uwe und Daniela Kahl zu verdanken.

Neben den tagebuchartigen Reiseerinnerungen von Tutschke beinhaltet das Buch zahlreiche zeitgenössische Photos mit interessanten Darstellungen bekannter Bauten, Aufnahmen von Einheimischen und von Otto Tutschke und seiner Familie. Auf jeder Seite des Buches wird deutlich, mit wie viel Hingabe die Kahls alle Informationen und Fotoaufnahmen zusammengetragen haben. So viel Begeisterung für dieses Thema schwappt auch auf den interessierten Leser über.

Sichtweisen aus einem anderen Jahrhundert
Bereits auf den ersten Seiten wird deutlich, dass Otto Tutschke seine ganz spezielle Sichtweise auf die Reise hat. Bis er in Korfu ein Schiff besteigt bewegt er sich zunächst per Zug fort. Schmunzeln muss ich gleich zu Beginn seiner Schilderungen über die für mich typisch deutsche Beschreibung. Die sind zum einen Bemerkungen über günstige Reisepreise. Zum anderen sind es überteuerte Bierpreise in Athen, die ihn ärgern: „Einer meiner Reisegenossen verschwor sich hoch und heilig, in seinem Leben nie wieder eine Flasche Bier zu 3 Frank = 2 Mark 40 Pf. in Athen zu trinken, auch wir sind von den Hellenen weidlich betrogen worden.“

Spannend und durchaus auf die heutige Zeit übertragbar finde ich die Information, dass bei der Ankunft in Korfu ein Hafenarzt alle Passagiere auf ihren Gesundheitszustand prüft. Gerade in Zeiten von Corona klingt das hochaktuell für mich.

Allgemein, und hier fühle ich mich an die Zeit nach der Finanzkrise in 2008 erinnert, ist die Meinung Tutschkes über die Griechen nicht besonders hoch: „…, denn im nächsten Jahre, so sagte unser Führer sehr bezeichnend, sollten die olympischen Spielereien wieder aufgeführt werden. Ich glaube es gern, daß das heutige Griechengeschlecht es wohl nur zu Spielereien, aber nicht zu den alten olympischen Spielen bringen wird.“

Auch bei den Türken ergeht es Tutschke nicht viel besser. Hier beklagt er sich über „Geldschneidereien“. Kurz danach erreicht er zunächst den Libanon, dann Israel und schließlich Palästina.

Erstaunliche Details
Fasziniert hat mich Tutschkes Detailwissen, z.B. über die Mannhardt-Gletschergruppe oder darüber, wie viele Dampfer und Segelschiffe jährlich im Hafen von Triest verkehren. Dabei sollte man bedenken, dass Tutschke seinerzeit ohne Smartphone oder Internet auskommen musste.

Auch beschreibt der Pfarrer in seinen Aufzeichnungen sehr genau, wie die sozialen Gegenbenheiten sich zu der Zeit vor Ort darstellen. Er berichtet von der Armut, von der Rückständigkeit der Viehhaltung und des Ackerbaus. Er erzählt von Bettlern mit fehlenden Gliedmaßen und einem syrischen Waisenhaus in Jerusalem, das er als „wichtigste Missionsanstalt“ im heiligen Lande bezeichnet. Klar, er ist eben Pfarrer.

Manche Dinge ändern sich nie
Wie es nicht anders bei einem Pfarrer zu erwarten ist, beschreibt Tutschke in recht ausführlicher Form seine Eindrücke von den heiligen Städten und Plätzen. Auffällig sind an seinen Darstellungen die Vergleiche mit der einstigen Pracht und dem jetzigen Zustand, den er leider allzu oft kulturellen Usancen zuschreibt. Eine (Un-)Sitte, die sich für mein Empfinden bis heute gehalten hat. Hier ein Beispiel aus dem Buch: „Wir zogen auf demselben Wege, auf dem einst die Weisen aus dem Morgenlande gewandert waren, in dem am Berghange festungsartig gelegenen Bethlehem ein. […] Das Städtchen selbst ist in seinem Inneren, wie man es im Morgenlande nicht anders voraussetzen darf, schmutzig und wenig freundlich.“

Etwas später beschreibt er die Aufführung türkischer Militärmusik mit den folgenden Worten: „Crethi und Plethi schienen sich an dem hier selten gebotenen musikalischen Genusse zu laben, und gerade dies war auch sehr unterhaltend für uns Europäer.“ Und auch für die Stadt Kairo, die Tutschke im Anschluss besucht, hat er recht geringschätzige Worte übrig: „Ueberall aber sieht man Spuren des Verfalls. Man läßt zu Grunde gehen, was zu Grunde gehen will.“ An dieser Stelle darf man nicht vergessen, dass zu der Zeit noch kein Massentourismus herrschte und deshalb solche Reiseschilderungen das Bild bestimmten, dass der Bürger sich vom „Orient“ machte. Heute sind es oftmals die (sozialen) Medien, die denselben Auftrag erfüllen und damit leider allzu oft auch ein Bild zementieren, das sehr einseitig ist und die Welt aus einer eurozentrierten Perspektive zeigt.

Den Rückweg tritt Tutschke von Kairo mit dem Zug nach Alexandria an. Von dort geht es mit dem Schiff zunächst nach Kreta und schließlich nach Triest. Mit dem Zug erreicht Tutschke dann Wien und einige Stunden später seinen Heimatort Friedersdorf. Die Wiedersehensfreude schildert er wie folgt: „Ja das Bewußtsein, welche Glück es ist, in einem wohlregierten und wohlgeordneten Staate leben zu können, kommt erst dann zur Geltung, wenn man die trostlosen Zustände unter den unkultivierten Völkern des Orients vorstellt.“ Political correctness war wohl damals noch nicht en vogue.

Trotz dieser teilweise wenig schmeichelhaften Darstellungen der Lebensverhältnisse in Vorderasien und Nordafrika oder vielleicht auch gerade deshalb ist das Buch „Reiseerinnerungen aus drei Erdtteilen – insbesondere aus Palästina“ ein lesenswertes. Kenner der Arabischen Welt werden sich an der einen oder anderen Stelle über die Art der Charakterisierungen wundern. Novizen der Materie aber werden staunen und vielleicht nach der Lektüre die Lust verspüren, sich ein eigenes Bild vor Ort zu machen.

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