Leandro Erlich: Schwerelos

Christina/ Dezember 22, 2024/ Kultur/ 0Kommentare

Alle vier Wochen, an jedem letzten Mittwoch im Monat, lädt der VW-Konzern unter dem Label „Art4All“ kostenlos ins Kunstmuseum Wolfsburg ein. Aufgrund des Weihnachtsfestes findet das Angebot bereits am 18.12 statt. Neben dem freien Eintritt werden auch Führungen zum Nulltarif angeboten. Alles in allem eine feine Sache. Auf dem Programm stehen diesmal gleich zwei Ausstellungen. Zum einen „Schwerelos“ vom argentinischen Künstler Leandro Erlich. Zum anderen „Eine Frage der Wahrnehmung“ des amerikanischen Video-Künstlers Gary Hill. Was mir vorab gar nicht bewusst war ist, dass der Besucher in Erlich’s Performance Schwerelosigkeit selbst ausprobieren kann. Für mich ein Erlebnis der besonderen Art, das ich am liebsten nicht mehr losgelassen hätte.

Ein Gefühl wie ein Kindheitstraum
Pünktlich um 16 Uhr geht es los. Der Andrang ist an diesem Tag groß, trotz zahlreicher anderen Ablenkungen, wie z.B. dem Weihnachtsmarkt in der Wolfsburger Innenstadt. Aus der ersten Besuchercharge entstehen drei Gruppen. Zwei möchten Schwerelosigkeit erleben, die dritte Gruppe zieht es zu Gary Hill. Wir folgen der Kunstpädagogin in die große Halle und bleiben als erstes vor einer Wolke stehen, die in einen Glaskasten eingerahmt ist. In dem Raum befindet sich außerdem noch ein begehbares Raumschiff, ein begehbarer Mond, ein entwurzeltes Haus, weitere Wolken und ein paar Skulpturen. Die Illusion der schwebenden Wolke löst sich auf, sobald man sich der Vitrine von der Seite nähert. Dann wird deutlich, dass es sich um mehrere Glasschichten handelt, die hintereinander stehen, sodass das Auge des Betrachters eine schwebende Wolke formt.

Wir erfahren, dass sowohl der Mond als auch das Raumschiff begehbar sind. In beiden Installationen ließe sich Schwerelosigkeit erleben. Dies sei allerdings nur etwas für schwindelfreie Personen. Hm, ich frage mich, wie sich das wohl anfühlt, schwerlos zu sein? Vor dem Eingang zum Mond bildet sich bereits eine kleine Schlange von Besuchern, die auf ihren Einlass warten. Die Länge hält sich aber noch in Grenzen. Gleich nach der Kurzführung stelle ich mich an. Bevor es losgeht, werden Überzieher für die Schuhe verteilt. Es darf immer nur eine Handvoll Personen im Inneren sein. Nach ein paar Minuten ist es soweit. Meine Überzieher sind montiert, ich bin bereit. Allerdings habe ich vorab keine Vorstellung was mich erwartet. Und ich finde es großartig. Auf die Kuppel des Mondes werden Bilder vom Weltraum, Städten und Straßen projiziert. Beim Betreten der Fläche fühlt es sich zunächst so an, als würde man ins Nichts treten – was natürlich nicht der Fall ist. Ein Gefühl der Faszination erfasst mich. Ich finde es einfach irre, was ich gerade fühle. Wie ein wahrgewordener Kindertraum. Ich glaube, hier könnte ich stundenlang bleiben.

Völlig losgelöst im Raumschiff Erlich
Als nächstes schaue ich mir das entwurzelte Haus von unten an, das auch das Leitmotiv der Ausstellung darstellt. Die Wurzeln unter dem Haus stehen sindbildlich für die Entwurzelung von Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen. Ich gehe die Stufen auf die Empore hoch. Hier sind zum einen Skulpturen von Erlich zu sehen: Kunstwerke aus Marmor, Glas, Bronze und Keramik. Außerdem kann man von hier oben durch die Fenster des schwebenden Hauses schauen und erkennen, dass auch die Möbel im Haus fliegen.

Für die Ausstellung hat der Künstler ein Raumschiff bauen lassen, das teilweise begehbar ist. Durch Spiegel im Inneren ensteht der Eindruck als würde man als Besucher darin schweben, so wie es Astronautinnen und Astronauten im Weltraum tun. Auch das ist nochmals ein besonderes Erlebnis.

Es geht auf 17 Uhr zu und ich möchte noch die Führung zur zweiten Ausstellung mitmachen. Wieder treffen wir uns im Forum. Die Kuratorin Elena Engelbrechter führt durch die Räume. Nun ich muss zugeben, dass ich zu den Video-Installation keinen rechten Zugang finde. Das Anliegen des Künstlers ist wohl der Perspektivenwechsel, in dem er Bilder und Sprache zerlegt und neu erzeugt. Leider ist der Ton der Werke teilweise so laut eingestellt, dass die Erklärungen zur Führung nicht immer zu vertehen sind. Der Geräuschpegel wirkt auch eher belästigend, der stakkatoartige Vortrag des Gesprochenen tut sein Übriges. Im Gegensatz zu Erlichs Performance ist meine Begeisterung hier verhaltener.

Das Kunstmuseum Wolfsburg, so erfahren wir, hat mit 46 Werken die größte Sammlung in Deutschland.

20 Jahre Einsamkeit
Am Ende der Ausstellung, kurz bevor ich die Räumlichkeiten ganz verlasse, treffe ich auf einen geschichteten Haufen von Büchern, Bildern und anderen Dingen. Ein Werk des Künstlers Anselm Kiefer mit dem Titel „20 Jahre Einsamkeit„. Seit der Eröffnung des Kunstmuseums befindet sich das Werk an dieser Stelle. Der Titel bezieht sich auf die Jahre 1971 bis 1991. U.a. zieht Kiefer mit dieser Arbeit eine Bilanz seines Lebens: eine retrospektive Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie Berlin, eine gescheiterte Ehe und schließlich der Weggang aus Deutschland.

Ich lassen den Stapel noch ein wenig auf mich wirken, bevor ich durch die Stadt zurück zum Bahnhof gehe. Ich bin immer noch begeistert von den Werken des Künstlers Erlich und gratuliere mir selbst zu diesem schönen Kunstgenuss am Mittwochnachmittag! Das war bestimmt nicht mein letzter Besuch im Kunstmuseum Wolfsburg.

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