Lernen aus dem „Critical Incident“

Christina/ Juni 8, 2010/ Kultur

Derzeit besuche ich einen Kurs zum Thema „Interkulturelle Kompetenz„. Ein Bereich, der mich seit langem beschäftigt und fasziniert. Besonders im Hinblick auf die Entsendung von so genannten Expatriates (Das ist jemand, der vorübergehend oder dauerhaft, aber ohne Einbürgerung in einem anderen Land als dem seiner Abstammung lebt – typischerweise vom Arbeitgeber dorthin entsendet. Quelle: Wikipedia), die für meine Begriff oft ungenügend vorbereitet ins Ausland entsandt werden. Nicht bedacht wird oft von Unternehmen, dass diese Mitarbeiter die Rolle eines Botschafters Ihrer Firma im Ausland (unbewusst) übernehmen.

Am letzten Seminararbend war die Methode des „critical incidents“, um Kulturdimensionen und Kulturgrammatiken verständlich zu machen. Die Methode des „critical incidents“ kann kurz als „kritische interkulturelle Interaktionssituation bzw. interkulturell begründetes Missverständnis“ definiert werden.

In der Langform bedeutet dies: „Die Arbeit mit Critical Incidents kann verkürzt als das Sammeln von Situationen, die entweder als problematisch oder besonders gelungen angesehen werden, mit dem Ziel, praktische Probleme zu lösen und einen Beitrag zur Entwicklung und Förderung von Kompetenzen zu liefern. Als ‚Kritisch’ ist ein Situation dann anzusehen, wenn für einen der Beteiligten daraus negative Konsequenzen entstehen, ‚besonders gelungen’ ist sie dann, wenn für einen oder mehrere Beteiligte sehr positive Konsequenzen entstehen. Durch eine genaue Analyse der kritischen Situationen wird Einsicht in Bewältigungs- und Verarbeitungsstrategien der Beteiligten möglich“(Quelle).

Die Methode des „Critical Incidents“ kann zur Reflexion über interkulturelle Situationen und damit der Förderung interkulturellen Lernens und Verstehens dienen. Von einer solchen Situation, die ich 1996 in Jorandien erlebte, möchte ich heute erzählen. Ich bin mir sicher, dass diese Erzählung einige Leser (positiv) überraschen wird.

1996 verbrachte ich zwei Auslandssemester in Jordanien. Dort arbeitete ich u.a. bei der Jourdan Times als Journalistin. Während meines Aufenthalts erhielt ich für die Anfertigung der Studie „Der Jordanische Computermarkt“ ein Stipendium. Die Recherchen und die Interviews zur Studie führte ich direkt vor Ort durch. Zu der Zeit besaß ich noch keinen Laptop und wusste somit nicht, wo und worauf ich meine Arbeit schreiben sollte. Einer meiner Interviewpartner bot mir darauf hin spontan an, mir einen Computer und Arbeitsplatz in seiner Firma zur Verfügung zu stellen.

Ich war mir zunächst nicht sicher, ob er das Angebot ernst meinte oder nur höflich sein wollte. Tatsächlich besuchte ich ihn aber in seiner kleinen und bescheidenen Firma, wo er bereits einen Raum (!) freigemacht hatte, mir einen Computer und Drucker zur Verfügung stellte und ich ungestört arbeiten konnte. Nach einiger Zeit erfuhr ich dann, dass einer seiner Mitarbeiter für mich hatte seinen Arbeitsplatz räumen müssen. Was mir natürlich unangenehm war, weil ich den Mann nicht verdrängen wollte. In Deutschland einfach undenkbar, dass eine Ausländerin ohne jeden Bezug zum Geschäft der Firma ein eigenes Büro zur Verfügung gestellt bekommt.

Für mich aber war das der Beweis, der eindeutig sprichwörtlichen arabischen Gastfreundschaft. Eine Freundlichkeit und Zuvorkommenheit, die ich in Deutschland leider oft vermisse.

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