Braunschweig 1944: Wartestadt im Zittergau
Der Stadtspaziergang zur Ausstellung „15. Oktober – Die Zerstörung der Stadt Braunschweig 1944″ startet im Städtischen Museum Braunschweig mit genau einem Bild, das es in sich hat. Das Bild zeigt, so erklärt es Dr. Christina Axmann, traumatisierte Eltern vor der zerstörten Stadt Braunschweig, die von ihrem Kind getröstet werden. Das Kind schlüpft in die Rolle des „Retters“, der den Eltern Zuversicht geben soll. Verkehrte Welt: eigentlich sollten die Eltern dem Kind die Angst nehmen und nicht umgekehrt. Das Trauma das Kindes wird sich vermutlich später, in mittleren Jahren bemerkbar machen. Eine Rollenzuschreibung, die sowohl für die Kriegs- als auch die Nachkriegsgeneration prägend und symptomatisch gewesen sein mag.
Messerschmitt-Bomber und Konserven
Unsere nächste Station ist die Magnikirche, die 1944 zerstört wurde. Wir hören, dass nach Görings Wunsch, Braunschweig zur „Fliegerstadt“ werden sollte. Seit Kriegsbeginn befand sich Braunschweig in einer Position der „Wartestadt im Zittergau„. Warum? Braunschweig spielte in der nationalsozialistischen Zeit eine wichtige Rolle für das Regime. Nicht nur, dass Braunschweig Hitler zur Macht verholfen hatte. Braunschweiger Konserven sicherten zu 50 % die Versorgung der Truppen, zudem war die Stadt ein Zentrum der Rüstungsindustrie. Bezirke wir das Franzsche Feld oder das Malerviertel zeugen davon.
Flächenbombardements deutscher Städte
Das „Zittern“ vor dem großen Angriff hat Braunschweig dann seinen Beinamen gegeben. Die Stadt war ideologisch vorbelastet und damit Ziel der Alliierten. Andere Städte wie Lübeck, Rostock, Köln oder Hamburg hatte es bereits erwischt. Ab 1943 wurde es dann ernst für die Stadt, aber erst die „kombinierte Bombenoffensive“ der Alliierten im Oktober 1944 brachte das Inferno über Braunschweig.
Abriss versus Aufbau
Wir gehen weiter zum Bohlweg und machen halt vor dem Braunschweiger Schloss. Auch das Schloss wurde 1944 stark zerstört. Als es darum ging, die Trümmer abzureißen, entschied sich der damalige Rat der Stadt dagegen, weil die Kosten für den Abriss einfach zu hoch waren und zu dringend die anderen Probleme der Stadt. Mehr als 50 % der Einwohner Braunschweigs waren nach dem verheerenden Bombenangriff in 1944 obdachlos; es gab keinen Wohnraum, kaum elektrisches Licht auf der Straße, der Alltag war beschwerlich bis erdrückend. Zudem war auch das Gebäude des Schlosses ideologisch belastet: Hier waren die Nazis aufmarschiert. Während der Bombenangriffe wurden 15- und 16-jährige Schüler herangezogen, um an der Flak (Flugabwehrkanone) feindliche Flieger in den „Bauch“ zu schießen und damit vom Himmel zu holen.
„Christbäume“ ohne Weihnachtsgefühl
Wir gehen weiter zur Münzstraße und machen halt vor einem ehemaligen Bunker, in dem zeitweise die Polizei residierte. 1941/42 war dieses Gebäude eines der zahlreichen Luftschutzorte des Stadt. 24 Bunker hat es in der Stadt insgesamt gegeben, der in der Münzstraße wurde seinerzeit auf „Führersofortbefehl“ gebaut. Dabei waren die Bunker für unterschiedliche „Bombenstärken“ ausgelegt, einige bieteten Schutz für Bomben mit 300 kg Gewicht, andere für Bomben mit bis zu 1.000 kg. Zum Vergleich: Die größte Bombe der Briten, die sogenannte „Grand Slam“ wog 10.150 kg, der „Tall Boy“ 5.400 kg. Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen war es nicht erlaubt, die Schutzräume aufzusuchen. Kein Wunder also, dass 50 % der 3.000 Toten von der Bombennacht am 15.Oktober aus dieser Gruppe stammten. Nach Kriegsende wurden die Bunker oftmals als Wohnraum oder als Arbeitsplätze genutzt.
Wir erreichen den Domplatz. Die Flächenbombardierung von 1944 folgte einem perfiden Plan: Die Alliierten flogen fächerförmig auf die Stadt Braunschweig zu. Zuerst fielen die sogenannten Christbäume, die die Stadt hell erleuchteten, damit die anderen Flieger ihre „Last“ gut platzieren konnten. Es folgten zunächst die sogenannten „Blockbuster“ – nicht zu verwechseln mit einem Kinofilm, der besonders gut anläuft. Nein hier handelte es sich um Wohnblockknacker, die die Häuser mit einer Druckwelle förmlich aufrissen, die Fenster bersten ließen und somit Platz machten für die Brandbomben, die dann den Rest erledigten und die Stadt in Schutt und Asche legten. Insgesamt dauerte der Angriff 17 Minuten, dabei kam 847 Tonnen Bomben vom Himmel, 3.670.500 m3 Trümmer blieben zurück.
Bilder, die man nicht vergisst
An der Bartholomäuskirche erfahren wir mehr über die Bilanz des Infernos: Ganze 2,5 Tage lang hat Braunschweig gebrannt. Ein Mann, Rudolf Prescher, seines Zeichens Teil der Braunschweiger Berufsfeuerwehr, hat sich durch seinen Mut in dieser schrecklichen Nacht besonders hervorgetan. Mit einer Wassergasse hat er Tausende von Menschen vor dem Feuertod gerettet. Wasser wurde aus den umliegenden Teichen und aus der Oker gepumpt.
Aus einem Augenzeugenbericht von Eckhard Schimpf (Nachts als die Weihnachtsbäume kamen) erfahren wir zumindest ansatzweise, wie schlimm das damalige Geschehen gewesen sein muss: Menschen blieben mit ihren Schuhen im geschmolzenen Asphalt stecken, bis auf 90 km Entfernung waren die Feuersäulen zu sehen. Um 6 Uhr morgens war der Zenith der Katastrophe erreicht.
Wir kommen zum Eulenspiegelbrunnen, eines der ganz wenigen Denkmäler, die die Bombennacht überstanden haben. Christina Axmann reicht Bilder herum und zeigt, wie der Platz vor der Zerstörung ausgesehen hat. Es ist nicht wiederzuerkennen. Unsere letzte Station ist das Altstadtrathaus. Hier beeindruckt das Bild „Der Brand von Braunschweig“ von Walther Hoeck, das als „Denkmal“ der Katastrophe gilt. Auch sicher dies ein Bild, das man nicht so schnell vergisst.