Plötzlicher Gefühlstod, Teil 4
Im ersten Teil meiner Serie hatte ich zwei Persönlichkeitsstile erwähnt, den „Verspielten Widerständler“ und den „Kreativen Tagträumer“. Was hat es mit diesen beiden auf sich? Nun, die Begriffe bezeichnen zwei Persönlichkeitsstile, die vom Autorenduo Vann Joines und Ian Stewart stammen.Ich habe das Buch vor Kurzem im Zuge meiner Auseinandersetzung mit der Transaktionsanalyse gelesen. Ich kann es nur empfehlen. Das Buch ist hochspannend und sehr aufschlussreich.
Idealtypus vs. Realtypus
In ihrem Modell haben Joines und Stewart sechs Persönlichkeitsstile aufgestellt. Hier ist es wichtig zu beachten, dass wissenschaftliche Typologisierungen sich immer auf „Idealtypen“ beziehen. D.h. es werden Typen gebildet, die eine Reihe von Charaktereigenschaften auf sich vereinigen, die in der Realität (im Realtypus) in der Reinform seltenst vorkommen. Diese Typenbildung stammt aus der qualitativen Forschung und hat das Ziel einer Erfassung von gleichen bedeutsamen Ausprägungen eines Phänomens. Dazu werden verschiedene Merkmale von Menschen über ein qualitatives Erhebungsverfahren (Interviews, Beobachtung, etc.)gesammelt und ausgewertet. Gemeinsamkeiten werden zusammengefasst. Aus diesen Clustern werden schließlich die Typologisierungen gebildet, d.h. Persönlichkeitsstile, die durch gleich Merkmalsausprägungen gekennzeichnet sind. Diese Merkmale finden sich dann im Individuum mehr oder weniger ausgeprägt wieder, geben aber wertvolle Hinweise auf die Grundeinstellungen einer Person.
Was mich an dem Buch von Joines und Stewart besonders fasziniert hat ist deren Herangehensweise. Die beiden Autoren konzentrieren sich in ihren Darstellungen nicht nur auf das was eines Persönlichkeitsstils sondern auch auf das wie. Konkret heißt das, dass es nicht in erster Linie darum geht, was eine Person sagt sondern auch wie sie es sagt. Es wird also zwischen dem verbalen und dem non-verbalen Ausdruck unterschieden. Und genau diese Zweiteilung macht den Unterschied, wenn wir uns bewusst machen, dass Kommunikation immer aus den Bestandteilen „verbale und non-verbale“ Äußerung besteht und das der Anteil der non-verbalen Aussage an der überbrachten Botschaft bei 70 % liegt! Um ein Beispiel zu geben: Unser passiv-aggressiver Mann sagt: „Klar machen wir das so, das habe ich dir ja versprochen.“ Gleichzeitig gibt er uns aber non-verbal, über Gestik und Mimik zu verstehen, dass er überhaupt nicht mit der Sache einverstanden ist. Nun merken wir in unserem Unterbewusstsein, dass seine verbale Aussage nicht mit der non-verbalen Äußerung korrespondiert und wir ahnen, hier stimmt etwas nicht. Vermutlich können wir dieses negative Gefühl beim ersten Mal noch nicht so richtig einordnen, weil wir auf das gesprochene Wort achten. Tritt dies Inkompatibilität jedoch häufiger auf, dann werden wir zunehmend hellhörig, verunsichert und schließlich frustriert.
Verspielter Widerständler und Kreativer Tagträumer
Zurück zu Joines und Stewart und unseren beiden Persönlichkeitsstilen. Wie bereits erwähnt, treten Persönlichkeitsstile in der Realität selten in der Reinform auf, vielmehr ist es so, dass Menschen Aspekte verschiedener Persönlichkeitsstile auf sich vereinigen. Ausschlaggebend ist, welcher oder welche Persönlichkeitsstile dominieren. Die beiden Autoren gehen davon aus, dass die meisten Menschen zwei „Haupt-„Persönlichkeitsstile haben: einen Überlebens- und einen Leistungsstil. Aus gegebenem Anlass werde ich mich hier im Folgenden auf die beiden Stile des „Kreativen Tagträumers“ (KT) als Überlebensstil und des „Kreativen Tagträumers“ (VW) als Leistungsstil konzentrieren. KT weist schizoide Züge auf, VW ist passiv-agressiv. Hier schließt sich also der Kreis zu unserem Thema.
Die beiden Stile weisen eine doppelte Negation gegenüber Bindungen auf. Was bedeutet das? Sowohl der schizoide als auch der passiv-aggressive Teil in einer Person haben extreme Angst davor, dass jemand ihre Autonomie bedrohen könnte. Hier spielt es keine Rolle, ob diese Angst begründet ist. Sie ist einfach da und für die Person real. In persönlichen Beziehungen zeigt sich diese Aversion, sich zu binden, sich festzulegen, abhängig oder überrannt zu werden, in ihren oft seltsamen und unverständlich anmutenden Reaktionen. Wir erinnern uns in diesem Zusammenhang an das Beispiel des „verhinderten“ Wochenendtripps aus Teil drei.
Zermürbende Beziehungstests
Ein weiteres für den Adressaten verwirrendes Merkmal ist, dass diese Personen aus der Ferne oft gute und zugewandte Briefeschreiber sein können, sich im direkten Kontakt aber wieder sofort zurücknehmen und verschließen. Diese Erkenntnis kann ich aus eigener Erfahrung nur bestätigen. Zur wirklichen Geduldsprobe werden die ständigen Beziehungstests dieser Menschen: in immer wieder neuen Bewährungsproben fordern sie von ihrem Gegenüber fortwährend neue Liebesbeweise, die ihre Zweifel beheben sollen. Dies geschieht natürlich unterschwellig. Das Ausweglose an diesem Verhalten ist, dass es keine Gewinner gibt. Sollte die Partnerin nämlich den gewünschten Liebesbeweis erbringen, so reicht das dem KT/VW-Mann nämlich nicht aus, er braucht noch mehr Beweise – was auf die Dauer sehr zermürbend ist. In dem Fall, dass der Beweis aus seiner Sicht nicht erbracht wird fühlt er sich in seiner Annahme bestätigt, dass die beiden einfach nicht zusammenpassen. So kann er die Beziehung „guten Gewissens“ verlassen. Dabei realisiert diese Person nicht im Geringsten, wie sehr sie den anderen durch ihr Verhalten erst zu der negativen Reaktion gebracht hat. Der Mechanismus hinter dieser Bewährungsprobe lautet: „Wenn mein Partner micht trotz meines Verhaltens noch liebt, liebt er mich wirklich.“ Tatsächlich weist dieses destruktive Verhalten darauf hin, dass die betroffene Person sich selbst nicht für liebenswürdig hält.
Unverarbeitete Kindheitserlebnisse
Was steckt hinter diesem schädlichen Verhalten? Was also könnte die Ursache für diese fortlaufende Selbstsabotage sein? Nun, es ist fast mit tödlicher Sicherheit davon ausugehen, dass die vermeintlichen Haß- und Rachegefühle des „sich Verweigerns“ nicht aus dem Hier und Jetzt stammen und damit dem jetzigen Gegenüber gelten. Nein, vielmehr ist davon auszugehen, dass es sich um unverarbeitete Gefühle aus Kindheitserlebnissen handelt, die nun auf den jetzigen Partner projiziert werden und dabei ursprünglich den ehemaligen Bezugspersonen der Kindheit gegolten haben. Genau diese unverarbeiteten Gefühle führen dann auch dazu, dass es dem KT/VW-Mann nicht möglich ist, sich in seinen jetzigen Partner einzufühlen.
On- und Off-Beziehungen
Die für die betroffene Person überwältigende Angst vor einer Bindung an eine andere Person löst sehr starke Gefühle aus.Trotz der Sehnsucht nach Nähe und einer Partnerschaft blockieren sich diese Menschen durch ihr Verhalten immer wieder selbst. Hingabe wird mit einer völligen Auslieferung des Selbst an den anderen gleichgesetzt. Aus der Panik heraus, von dem anderen verschlungen zu werden, entstehen dann die Gefühle des Hasses, der Bedrohung und schließlich der Abwehr. Aus diesen Gründen fällt es diesen Personen schwer, dauerhafte Beziehungen zu führen. Kurzfristige, intensive „On- und Off-Beziehungen“ sind die Folge. In dem Fall, dass die Mutter des Betroffenen die Rolle der „insgeheim“ verhassten Bezugsgsperson aus der Kindheit ist, ist zu beobachten, dass sich solche Männer eine ältere, mütterlich wirkende Partnerin suchen, in der Hoffnung, dass diese Frau ihnen das geben kann, was sie bei der Mutter vermisst haben. Tatsächlich haben solche Beziehungen aber wenig mit Intimität zu tun, vielmehr handelt es sich um eine Art „Bruder-und-Schwester“-Beziehung, ein kameradschaftliches Verhältnis, das auf gemeinsamen Interessen beruht und erotischen Erlebnissen so gut wie ausschließt. Aber auch in dieser Art von Beziehung ist Nähe weiterhin schwer für den KT/VW-Mann zu ertragen, dafür muss die Partnerin Verständnis haben, will sie die „Geschwister“-Beziehung weiterführen.
Irritierendes und verletzendes Verhalten
Fakt ist, dass dieser Mann sehr empfindlich ist und sich abwehrend zeigt, sobald er das Gefühl hat, dass der andere seine Freiheit oder Unabhängigkeit einschränkt. Er zeigt wenig Gefühlsäußerungen und wünscht sich von seinem Gegenüber ebenfalls möglichst unaufdringliche Zuneigung. Wenn es ihm dann zu viel wird, zeigen sich Unlust und Angst bei ihm und resultieren schließlich in Aggression und Wut. Das Irritierende und Verletzende für den Partner an diesem Verhalten ist, dass die Aggression des Mannes, die zu seiner Entlastung der Spannung beiträgt, unkontrolliert und ohne Schuldgefühl ausgelebt wird. Ihm ist dabei keineswegs klar, wie diese Affekte und Aggressionen auf sein Gegenüber wirken, der andere ist ihm bei diesem Akt des Abreagierens nicht einmal wichtig. Sie zeigen sich in diesen Situationen scharf, verletzend und brüsk, ohne es zu wissen.
Für mich besonders erschreckend fand ich den wahnsinnig schnellen Wechsel zwischen einem „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“-Verhalten. In Sekundenschnelle konnte mein Partner eine eisige Kälte und Unerreichbarkeit, eine verletzende Schärfe und einen Zynismus an den Tag legen, der mir den Atem verschlagen hat. Dann schlug mir eine Ablehnung entgegen, die fast greifbar war und ich kam mir vor, wie ein lästiges Insekt, das er loswerden will. Was ihm ja auch gelungen ist.