Andermatt: kein Ort für jedermann?

Christina/ April 15, 2018/ Kategorien, Philosophisches

Leonidas Bieris Dokumentation beginnt mit einer historischen Einordnung der Bedeutung Andermatts vom 19. Jahrhundert bis zur Beendingung des Kalten Krieges. Während der Ort in den Schweizer Alpen über die Jahrhundertwende zu einer mondänen Touristendestination aufgestiegen war und im zweiten Weltkrieg eine entscheidende Rolle als Stützpunkt der Alpenwehr gespielt hatte, verlor Andermatt nach dem Ende des Kalten Krieges an Bedeutung. In den Ausbau des Tourismus wurde nicht mehr investiert und die Bewohner Andermatts begannen sich Sorgen um ihre wirtschaftliche Zukunft zu machen. Da tauchte der ägyptische Milliardär und Geschäftsmann Samih Sawiri als Retter in scheinender Rüstung auf, mit Plänen, den Ort zu einem Luxusressort der Superlative für die Superreichen zu machen. Ein Hideaway mit Luxus-Golfplatz, Luxushotels und extravaganten Ferienwohnungen. Doch im Laufe der Dokumentation zeigt sich, dass die ursprüngliche Begeisterung der Anwohner (96 % sind anfänglich für das Projekt) nicht nur auf Skepsis stößt, sondern sich letztendlich sogar in Ablehnung wandelt.

Dem Regisseur Bieri ist mit seiner Dokumentation „Andermatt – Global Village“ einerseits ein Lehrstück über den zügellosen Kapitalismus und andererseits über das ins-Abseits-gedrängt-werden der „normalen“ Bevölkerung gelungen. Von 2008-2014 (bis zur Eröffnung des ‚Le Chedi‘) begleitet er das Bauvorhaben und zeigt dabei eindrücklich, was das Projekt mit der Region und den Einwohnern macht.

Als besonders erschreckend und skrupellos ist mir dabei die Anfangssequenz der Dokumentation im Gedächtnis geblieben, als Hans R. Jenni, Betreiber des Luxushotels „The Chedi“ völlig ungeniert in die Kamera sagt, dass man in den nächsten Jahren aus Andermatt ein Reiseziel wie Gstaad und St. Moritz machen wolle und nicht nur das: „Wir bringen reiche Gäste nach Andermatt“, verspricht Jenni den Sponsoren. „Vorrang hat, so Jenni weiter, „wer ein Appartment für 3-4 Millionen Franken kauft oder 1.500 – 2.000 Franken pro Nacht zahlt. Wir wollen dich, wenn du Immobilien kaufst oder in einem der Hotels wohnst. Ansonsten werden wir versuchen, dich zu eliminieren. Wir kontrollieren Andermatt in allen Aspekten. Dies wird in Zukunft kein Ort für jedermann sein.“

Bis dahin hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass jemand so etwas ungefiltert im Fernsehen sagt. Ich hätte vermutet, dass er wenigstens so tut, als würde es ihm auch darum gehen, den Bewohnern eine Zukunft zu bieten. Hier scheinen die letzten Hüllen des Anstands bereits gefallen zu sein. So sicher sind sich die Herren mit dem Kapital bereits.

Zwei Milliarden will Sawiris also in Andermatt investieren, obwohl Udo Schneider, ein Mitglied des Konsortiums Andermatt Swiss Alps, erklärt, dass man „eine Ferienimmobilie […] wie einen Kopfschuss [brauche], eigentlich gar nicht.“ Trotzdem, das Interesse der Schönen und Reichen scheint zunächst groß zu sein, die Investoren zufrieden. Doch wie sieht es unter den Andermattern aus? Ein Bauer verrät, dass er sein Land an die Investoren verkauft hat. Nicht aus Überzeugung, sondern weil er der gebotene Kaufpreis unschlagbar gewesen wäre und seine Aussichten eigentlich eher düster. Schlussendlich arbeitet er nun auf dem Bau für das Projekt. Zufrieden macht ihn das nicht. Plötzlich steht er unter Zeitdruck. Bauabschnitte sollen unter utopischen Zeitvorgaben fertig gestellt werden. „Es muss alles nur noch schnell gehen“, beklagt sich der ehemalige Bauernhofbesitzer bei seiner Familie. Neulich sei einer der Vorarbeiter zu ihm gekommen und hätte verlangt eine relative aufwändige Arbeit in einer Stunde zu erledigen. Da fragt ihn der Mann, ob er neulich auch in der Zeitung gelesen hätte, dass ein Kind von der Zeugung bis zur Geburt nur eine Woche gebraucht hätte, ein absoluter Rekord. Der Vorarbeiter fragt ihn daraufhin, ob er den Verstand verloren hätte, ein Kind brauche nach wie vor neun Monate bis zur Geburt. „Siehst du“, antwortet er daraufhin, „und für diese Arbeit brauchen wir einen halben Tag.“ „Das stresst mich“, sagt er zu seiner Familie. Damit er noch eine Aufgabe hat, die ihn erfüllt, hat er sich zwischenzeitlich Esel gekauft, um die er sich nun in deiner Freizeit kümmert.

Auch abends in der Dorfkneipe, beim Gespräch unter Männern, sehnt man sich nach den alten Zeiten zurück und hat Angst, seine Traditionen und damit die Identität zu verlieren. Über die Auswirkungen des Projekts auf den Alltag der Menschen ist niemand im Vorhinein informiert worden. Plötzlich müssen zwei alte Damen feststellen, dass ihnen der Zugang zum Altersheim verbaut wurde und sie nunmehr mit dem Bus zum Mittagessen gebracht werden müssen.

Auf Investorenseite ist man weiterhin zuversichtlich. Das Andermatt Swiss Alps Village hat vom ganzen Tal am längsten Sonne, bis 17 Uhr oder sogar länger. Die geplanten Appartments seien „Tripple-A-Produkte“, also serviced Appartments. Trotzdem, mit Häusern zwischen 500.000 – 1.000.000 Franken versuche man auch etwas „für jedermann zu offerieren“, so der Business-Talk der Investoren weiter. Derweilen fragen sich die Anwohner, ob sich das Projekt für Andermatt überhaupt lohne. „Was wollen die Leute in der Natur?“ heißt es da. Und: „Sind das überhaupt Leute, die in die Natur wollen?“ Da gibt es zwischenzeitlich Überlegungen wie: „Also ich muss zugeben, ich könnte die Gegend ohne weiteres verlassen.“ Der Großvater einer anderen Familie sei nach seiner Pension in den Tessin gezogen, weil er einfach nicht verkraften konnte, was hier passiert. So erginge es vielen anderen auch. „Der Kanton hat sogar die Grundstückgewinnsteuer für Sawiris gestrichen – für 10 Jahre! Wir Idioten jedoch müssen diese zahlen, das ist doch nicht fair“, stellt die Kneipenrunde erbost fest.

Derweilen drehen sich die Sorgen der Bauherren darum, ob die Appartments mit 540 qm2 Wohnfläche für die Interessenten ausreichend Platz bieten.

„Der schlimmste Augenblick war, als sie die Bäume fällten“, sagt einer der Anwohner, der nun mit seinem Wohnung neben einer permanenten Baustelle lebt. „Sie fällten die Bäume zu einer Zeit, also die Vögel Junge hatten“.

Am Ende der Dokumentation fasst es ein älteres Paar aus dem Dorf treffend zusammen: „Viele Leute fragen sich, ist das wirklich das, was wir uns erhofft haben?“ „Wir sind der Meinung, dass die Diskrepanz zu stark zelebriert wird. Die Diskrepanz zwischen den Vermögenden und denen, die arbeiten sollen“, sagt ein Dorfbewohner abschließend.

Trösten mag man sich damit, dass in 2014 die Pläne der Investoren noch nicht aufgegangen zu sein scheinen. Im Dorf herrscht am Ende des Films noch gähnende Leere. Der Aufschwung, der kommen sollte, ist noch weit entfernt, so das Fazit.

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=ymg1pNuNaWg

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