Ava Farmehri: Im düsteren Wald werden unsere Leiber hängen
Im düsteren Wald werden unsere Leiber hängen[/caption]„Im düsteren Wald werden unsere Leiber hängen“ ist ein bewegendes Buch von Ava Farmehri (der Name ist ein Pseudonym). Das Buch erzählt uns die Geschichte von Sheyda, auf Deutsch „die Liebeskranke“. Einerseits ist sie ein junges Mädchen im Iran nach der Revolution: „Ich kam in Gefangenschaft zur Welt. Ich wurde am 1. April 1979 in Teheran geboren, am selben Tag wie die Islamische Republik. Andererseits ist sie eine Zwanzigjährige, die im Gefängnis auf ihre Hinrichtung wartet. Dazwischen wird in Rückblenden ihr Weg dorthin erzählt. Das Buch fokussiert sich auf die schwierigen Lebensumstände, mit denen Sheyda konfrontiert ist. Es geht um ihre unerwiderten Wünsche nach Verständnis, Akzeptanz und Freiheit. Aber Vorsicht: Der Roman ist nichts für schwache Nerven oder Lebensmüde. Er zeigt die düstere und emotionale Reise eines Mädchens, das mit dem Verlangen zu sterben lebt.Sheyda lebt in einem Land, in dem sie sich als Außenseiterin, als Sonderling fühlt. Ihre Eltern können das eigene Kind nicht verstehen und schicken es deshalb zu einem Psychologen. Der Leser wird geradezu in Sheydas Gedanken- und Gefühlswelt hineingezogen und läuft Gefahr, sich mit ihrer emotionalen Reise zu identifizieren. Hier sollte man nicht zu tief gehen, denn die Todessehnsucht der Protagonisten ist sehr eindrücklich beschrieben.
Der Erzählstil des Buches erfordert anfänglich etwas Geduld, und es kann einige Seiten dauern, bis man sich in die Geschichte hineingefunden hat. Die direkte und manchmal vulgäre Sprache wirkt anfangs irritierend, spiegelt aber Sheydas inneren Konflikt und ihre Kompromisslosigkeit wider. Die Protagonistin erzählt ihre Geschichte bruchstückhaft aus dem Gefängnis heraus. Sie ist zum Tode verurteilt, weil sie ihre Mutter umgebracht haben soll. Tatsächlich macht ihr das nichts aus, weil ihr das Leben nach dem Tod lebenswerter erscheint als ihr jetziges Dasein im Iran.
Zwischen Verliebtsein und Todessehnsucht
Allein als sie sich in den viel älteren Nachbarsjungen verliebt, keimt so etwas wie Hoffnung und Zuversicht in ihr auf. Die Darstellung der Beziehung zwischen Sheyda und dem älteren Nachbarsjungen, der eine Behinderung hat, ist zart und ergreifend. Sheyda findet Trost in ihrer Schwärmerei für diesen Jungen, der ebenso als einsamer Wolf gilt wie sie selbst. Allerdings merkt er nichts von Sheydas Träumerei. Die tragische Wendung der Geschichte, in der sich der junge Mann das Leben nimmt, lässt Sheyda dann noch tiefer in ihre innere Dunkelheit fallen.
Die Darstellung der brutalen Lebensbedingungen im Gefängnis und die kaum vorhandenen Besuche von Sheydas Familie werfen ein düsteres Licht auf die harten Realitäten des iranischen Strafvollzugs. Obwohl Sheyda unschuldig sein mag, entscheidet sie sich, im Gefängnis zu bleiben, da sie das Leben nach dem Tod als lebenswerter empfindet als ihr derzeitiges Dasein im Iran.
Sheydas unerbittlicher Wunsch zu sterben ist verstörend und lässt den Leser mit gemischten Gefühlen zurück. Ihre Kompromisslosigkeit und Entschlossenheit, unbedingt sterben zu wollen, werfen Fragen auf und geben Anlass zu Nachdenklichkeit. Die Handlung konfrontiert den Leser mit der Intensität menschlicher Emotionen und der Komplexität psychischer Zustände.
Ein unfreies Leben
Ava Farmehri verwendet geschickt den metaphorischen Vergleich von Sheydas Geburt mit der Gründung der Republik, um die repressive Atmosphäre im Iran zu reflektieren. Die Symbolik verstärkt das Gefühl, dass Sheydas Leben von Anfang an von Umständen geprägt ist, die sie nicht kontrollieren kann.
Auch die Bedeutung des Namens „Sheyda“, die Liebeskranke, trägt zur Gesamtkomposition der Geschichte bei und verleiht der Protagonistin eine zusätzliche emotionale Ebene. Die Verbindung zwischen ihrem Namen und ihrer Sehnsucht nach Liebe und Verständnis vertieft ihre Charakterisierung.
Das Ende am Kran
Schließlich stellt sich der düstere Wald im Titel des Buches zum Ende als wahrgewordene Prophezeiung heraus. Sheyda endet am Kran. Das unheilvolle Ende einer zerrissen Seele, die in der Erzählung eindringlich und kraftvoll dargestellt ist. Der Roman nimmt den Leser auf eine Reise mit, die sowohl verstörend als auch faszinierend ist.
„Im düsteren Wald werden unsere Leiber hängen“ ist kein leicht zu verdauendes Buch, sondern eine tiefgründige und nachdenkliche Erzählung, die den Leser auf eine emotionale Achterbahnfahrt mitnimmt. Es ist ein Buch, das die menschliche Psyche und die komplexen Gefühle, die das Leben begleiten, schonungslos und ehrlich erkundet. Die Geschichte von Sheyda regt den Leser dazu an, über die Bedeutung von Freiheit, Selbstbestimmung und Empathie in einer Welt nachzudenken, die oft von politischen und gesellschaftlichen Einschränkungen geprägt ist. Das Buch bleibt im Gedächtnis des Lesers lange nach der letzten Seite präsent.