„Die drei Religionen sind aus der gleichen Fabrik!“

Christina/ April 11, 2011/ Kultur

Sonntag abend. Draußen herrscht schönstes Frühlingswetter als es mich zu einem vorabendlichen Vortrag über ein viel diskutiertes Thema zieht. Allein die Anfahrt per Fahrrad zum Zielort hätte den Weg gelohnt. Hatte ich meinen derzeitigen Wohnort bisher für langweilig bis gar spießig gehalten, entdeckte ich nun „Klein Neukölln“ ein Stück weit aus der Innenstadt. Am Austragungsort weilt bereits die wissenschaftliche Elite, die sich gern mal mit einem brisanten Thema zu Wort meldet. Es geht mal wieder um Integration. Es geht mal wieder – natürlich – um den Islam. Diesmal aber aus „morgenländischer“ Perspektive, wie es so blumig im Untertitel heißt:
Die arabisch-islamischen Kulturwurzeln und das Integrations-Dilemma (aus morgenländischer Perspektive).

Und was genau bezeichnet dieses „Morgenland“? Ist nicht auch bereits der Terminus eine schwül-westliche Wortschöpfung? Vielleicht verschweige ich an dieser Stelle besser, dass bereits der dritte Treffer nach Stichworteingabe „Morgenland“ bei Google zum FKK Saunaclub Morgenland führt? On’y soit qui mal y pense? Tatsächlich wurde der im Begriff im Deutschen durch Martin Luther eingeführt.

Grüppchen von „Wissenschaftlern“ stehen bereits zusammen und tauschen ihr Wissen aus, als ich den Vortragsraum betrete. Der Saal ist zunächst halbvoll. Der Vortragsbeginn ist für 18 Uhr angesetzt. Gegen 18:05 Uhr wird mit dem Aufbau für den Vortrag begonnen und das Zusammenspiel zwischen Laptop und Beamer getestet. Ein Bild für die Leinwand lässt auf sich warten. Schnell bildet sich um das Pult mit dem Laptop ein Grüppchen (sechs Männer). Sie schauen interessiert auf den Bildschirm, es wird diskutiert, man probiert aus. Dabei stehen die Älteren in der ersten Reihe, die Jüngeren in der zweiten beratend zur Seite.

Der Altersdurchschnitt dürfte zwischen 45-60 Jahre liegen, vielleicht auch älter. Teilweise scheint man sich zu kennen. Gegen 18:15 Uhr wird das Laptop ausgewechselt, jetzt gibt es ein Bild an der Wand. Vortragender wird Prof. Wael Adi vom Institut für Datentechnik und Kommunikationsnetze von der TU Braunschweig sein. Weitere Gäste treffen ein. Fünf Minuten später kommt noch eine Handvoll jüngere Leute, Studenten des Professors? Der Moderator fasst sich ein Herz und beginnt die Einleitung zum Vortrag mit den Worten „Endlich sind alle da …“.

Der Moderator stellt uns den Redner kurz vor. In Syrien geboren kam Adi in den 70ger Jahren nach Deutschland, promoviert, habilitierte, war eine Zeitlang in der Industrie tätig und hatte eine Gastprofessur an der Universität in Sharjah inne.

Adi dankt für die Einführung und weißt zunächst darauf hin, dass er „Datentechniker sei und kein Experte auf dem Fachgebiet der islamischen Geschichte oder Kultur.“ Der Vortrag versuche den arabischen Blickwinkel aufzuzeigen. Der Vortrag erhebt keinen wissenschaftlichen Anspruch sondern richtet sich an den interessierten Bürger.

Adi beginnt seinen Vortrag mit ein paar Fakten: Die Arabische Welt besteht aus 22 Ländern, in denen ca. 350 Mio. Menschen leben. Drei Weltreligionen sind in dieser Region entstanden und beheimatet; 60 % der Bevölkerung ist unter 25 Jahre alt. Die Region weist ein hohes Bevölkerungswachstum auf, das fast 3x so hoch ist, wie in Deutschland. In einem zitierten Vortrag „The Broader Middle East“ verwies der ehemalige Botschafter Edward P. Djerejian weiterhin auf 7000 Jahre Kulturwurzeln in der Region und kaum vorhandene Demokratie, jedenfalls nach westlichem Verstädnis

Die Araber, so Adi weiter, seien nicht ein Volk, sondern verfügten über einen arabischen Sprachkulturraum. Nachfolgend gab Adi in seinem Vortrag mit über 150 Folien (!) eine, seinen Worten nach, kurze Einführung in die arabische Geschichte. Noch während wir erfahren, dass das erste arabische Alphabet bereits zwischen 1600-1500 v. Chr in Ugerit entdeckt wurde, kommen die nächsten Besucher. Mittlerweile ist es 18:40 Uhr. Das akademische Viertel ist überschritten.

Prof. Adi hat sich mittlerweile auf der Suche nach den Anfängen des arabischen Volks auf den Weg in das Alte Testament begeben. Es geht um Abraham und seine beiden Frauen, Sara und die ägyptische Sklavin Hagar. Nach dem Sara jahrelang nicht schwanger werden konnte, soll nun Hagar einspringen und für Abraham einen Stammhalter gebären. Das Ergebnis kennen wir alle – erst bringt Hagar Abrahams Sohn Ismael zur Welt. Unerwartet wird Sara ebenfalls schwanger und schenkt Isaak das Leben. Hagar und ihr Sohn werden in die Wüste geschickt – hier trennen sich die Geschichtsschreibungen der drei Weltreligionen.

Ein Handy klingelt – sein Besitzer geht ran. Polychrones Zeitverständnis in Reinkultur?

Prof. Adi führt fort, dass es mittlerweile 1.560 Mio. Muslime auf der Welt gäbe. 300-400 Mio. davon seien Araber. Schätzungen nach, wird sich diese Anzahl in 25 Jahren verdoppelt haben („Doubling Time“) und dann bei 3,2 Mrd. Muslimen liegen, die dann ca. 40 % der Weltbevölkerung ausmachten. Einige Länder, wie z.B. Palästina oder der Jemen, werden sich bereits innerhalb von 20 bzw. 21 Jahren verdoppelt haben.

Es kommt zu einer weiteren interkulturellen „Einlage“: Bei Folie 90 oder so sieht der Vortrag von Prof. Adil eine Sprechdatei vor. Es sind jedoch keine Lautsprecher an das Laptop angeschlossen. Wieder eilt technische Hilfe aus dem Publikum heran. Kabel werden verlegt. Der Vortragende ist nicht irritiert. Er schüttelt den Kopf, eigentlich ist das Vorspielen der Datei nicht vonnöten. Das Kabel aus dem Lautsprecher wird also nicht in das Laptop gesteckt. Jetzt drückt Prof. Adi trotzdem wieder auf den Abspielknopf. Natürlich hat sich nichts getan.

Nach mehr als 1 ½ Stunden kommt Prof. Adi zu einem weiteren Fazit: Die drei Weltreligionen sind eine Herausforderung Gottes, Streitigkeiten sollen ins jenseits verlegt werden. Religionsvielfalt ist ein Geschenk Gottes und soll erhalten bleiben. Nur Details und geschichtlicher Ablauf sind anders, sonst sind die Religionen gleich.

Lässt sich Toleranz oder ein Toleranzgrad in Zahlen ausdrücken? Prof. Adi gibt ein paar Beispiele:

    Istanbul 12,8 Mio. Einwohner

  • 2.562 Moscheen = 1 Moschee auf 5.000 Muslime
  • 40 Kirchen = 1 Kirche auf 2.000 Christen
  • 16 Synagogen = 1 Synagoge für 1.560 Juden

    Damaskus, ca. 4,1 Mio

  • 75 % Muslime = ca. 200 Moscheen
  • 15 % Christen, 6 % Alawiten, Drusen, Juden etc.
  • 240 000 Christen = 37 Kirchen

Endlich, bei Folie 119 kommen wir auf das anfänglich erwähnte Kulturdilemma zu sprechen. Nach fast zwei Stunden ist meine Konzentration allerdings bereits soweit strapaziert, dass ich bei der Erläuterung von Themen wie „soziales Dilemma: keine Ehe auf Probe (Mann-Frau-Beziehung)
System-Kollision: Konflikt“ und „Araber/Muslime lehnen Freizügigkeit ab (Familie wird dort nicht als Auslaufmodell gesehen)“ als auch „Euro-Modelle nicht übertragbar (Finanzierung / Infrastruktur)“ langsam die Lust und das Interesse verliere.

Interessanter scheint es nochmals zu werden, als Adi auf die Ängste der Mehrheitsbevölkerung zu sprechen kommt und von der Angst vor Islamisierung und der Angst vor Verlust sozialer Erungenschaften und einem massiven demographisches Ungleichgewicht spricht. Soweit nichts Neues. Interessant ist vielmehr der entrüstete Einwurf einer Teilnehmerin, die sich bereits vorher einmal zu Wort gemeldet hatte und behauptet: „Ängste vor dem Fremden gibt es doch überall.“ Werden diese Ängste dadurch akzeptabler oder angebrachter?

Ein letztes Fazit von Prof. Adi nehme ich noch mit auf den Weg. „Eurozentrismus stößt auf Arabo-Islamo-Zentrismus“. Danach ist meine Aufnahmekapazität leider erschöpft.

Was ich aus dem Vortrag mitgenommen habe? Es geht nicht darum, zu vergleichen, welche Religion die bessere ist oder welche früher da war. Egal, welcher Religion wir angehören, egal, auf welche Religion wir treffen. Es zählen immer die Menschen dahinter. Alle Menschen dieser Welt haben Respekt verdient. Religionen werden allzu oft politisch missbraucht; die Menschen dahinter über einen Kamm gescherrt. Genau darum geht es, um das Individuum und nicht Sammelbegriffe wie Christentum, Judentum oder Islam.

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