Ein fragwürdiges Thesenpapier

Christina/ Juni 6, 2011/ Kultur

Zuerst die gute Nachricht: Es ist etwas in Bewegung gekommen seit dem Ausbruch des „Arabischen Frühlings“, der seinen Anfang im Januar 2011 im nordafrikanischen Staat Tunesien nahm. Der Wermutstropfen: Der Western möchte mal wieder die Kontrolle über das weitere Geschehen in dieser strategisch wichtigen Region behalten und begründet dies mit „legitimen Eigeninteressen“. So jedenfalls der Tenor eines Thesenpapiers der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), verfasst von Dr. Martin Beck, seines Zeichens Leiter des KAS-Landesbüros in Amman.

Dieses Thesenpapier „Zur politischen Zusammenarbeit mit den Ländern des Nahen Ostens/Nordafrika“ hat es in sich. Mal erzeugt es Unverständnis, ob der vielen Behauptungen, die ohne entsprechende belegende Beispiele in den Raum gestellt werden. Dann ist es wieder die Verwendung von Schlagworten wie „Good Governance“ oder eben dieser „legitimen Eigeninteressen“, deren zugrunde liegenden Kriterien wohl den Wenigsten bekannt sein dürften. Ist es ein politisches Verwirrspiel? Denn: Was sich wichtig anhört muss auch gut oder richtig sein?

Über seine politische Ausrichtung lässt das Thesenpapier jedenfalls zu keiner Zeit den Leser im Zweifel. Da wird einerseits Israel in Form der einzig konsolidierten Demokratie (wieder so ein ungeklärter Begriff!) als leuchtendes Beispiel in der Region dargestellt. Was mehr überrascht, ist jedoch die (plötzlich) positive Darstellung der Türkei als ein Land, „auf das die negativen Entwicklungsmerkmale der arabischen Welt nicht zutreffen“ (Seite 3).

Insgesamt fällt es wirklich schwer, angesichts der sehr einseitigen, unzureichenden und stellenweise völlig unzutreffenden Darstellungen, den Inhalten gedanklich Folge zu leisten. Ein paar Stellen des Textes möchte ich deshalb herausgreifen, um meinen Unmut verständlicher, ja deutlicher zu machen.

Beginnen möchte ich mit dem bezeichnenden Eingeständnis im Vorwort des Thesenpapiers durch Herrn Dr. Gerhard Wahlers, stellvertretender Generalsekretär der KAS: „… dass Europa und Deutschland gegenüber dem Nahen Osten auch legitime Eigeninteressen verfolgen, insbesondere in den Bereichen Sicherheit, Energie und Wirtschaft.“ Dieser ehrliche Satz ist prägend für den weiteren Verlauf des Papiers. Übersetzt bezeichnet dies für Herrn Wahlers das legitime Recht (hier wäre es noch interessant zu erfahren, wie sich für Herr Wahlers illegitimes von legitimen Eigeninteresse unterscheidet) des Westens, sich den Zugriff auf Rohstoffe der Region zu sichern. Denn Sicherheit meint nicht die Sicherheit der einheimischen Bevölkerung, sondern die Rohstoffsicherheit und die wirtschaftliche Wohlfahrt des Westens.

Der Autor des Thesenpapiers, Martin Beck, teilt das Schriftstück im Folgenden so auf, dass er zunächst zehn Punkte beschreibt, die er im Zuge eines politischen Begleitprozesses durch Stiftungen, wie der KAS, zur Gestaltung eines neuen Nahen Ostens für angebracht hält. Diese zehn Punkte werden dann auf den kommenden elf Seiten ausführlich – aus Sicht der KAS – erläutert.

Im Zusammenhang mit dem deutsch-israelischen Dialog erwähnt der Autor, leider nur kurz, auch eine gebotene Verbesserung der politischen und wirtschaftlichen Integration der „israelischen Araber“. Gerade hier wäre es interessant gewesen zu erfahren, wie die KAS eine solche Integration vorantreiben möchte, mit welchen Mitteln diese durchzuführen sei und wie diese im Endergebnis aussähe. An diesem Punkt, wie leider auch an vielen anderen, bleibt das Thesenpapier unkonkret.

Auffällig ist jedoch die wiederholte Betonung der guten und wichtigen Beziehungen zur Türkei. Dies mutet insofern merkwürdig an, da sich das Land seit nicht unwesentlicher Zeit im „Wartezustand“ auf eine eventuelle Mitgliedschaft in der EU befindet. Hier stellt sich die Frage, ob diese Wichtigkeit im Zusammenhang mit dem Wegfall verlässlicher Partner wie Mubarak oder Ben Ali, und zuletzt auch Gaddafi zur Eindämmung des „europäischen Flüchtlingsproblems“, neu entdeckt wurde?

Auf Seite acht betont der Autor die Orientierung der KAS an Werten, die auf dem christlichen Menschenbild basierten und eine politische Zusammenarbeit wohl besonders dort vielversprechend sei, wo ein Wertekonsens bestünde. Ist die Rede von einem christlichen, religiösen oder einem Stabilität bringenden Konsens, der den wirtschaftlichen Erfolg des Westens in der Region sichert? Auch hier bleibt vieles im Unklaren.

Ein weiterer strittiger Punkt ist die Herausstellung der (erfolgreichen) demokratischen Bestrebungen Asiens, Lateinamerikas und Subsahara-Afrikas (namentlich Brasilien, Chile, China, Indien, Indonesien, Korea, Mexiko und Südafrika) im Vergleich zu den arabischen Ländern sowie deren Korruptionsprobleme. Hier dürfte uns ein Blick auf den Korruptionsindex 2010 von Transparency International die Sachlage verdeutlichen. Wie bereits erwähnt, mutet es in dem Thesenpapier besonders verwunderlich an, dass kritische wie auch positive Aussagen weder mit (nachvollziehbaren) Beispielen noch Zahlen belegt werden.

Das kontroverse Fass der Christenverfolgung in den arabischen Ländern, das der Autor mit der Bemerkung einer erhöhten Auswandererbewegung derselbigen anschneidet, möchte ich an dieser Stelle gar nicht aufmachen, nur zwei Fragen als Anregung stellen. Erstens: Wer sind eigentliche „diese Christen“ in den arabischen Ländern. Handelt es sich dabei um eine homogene Gruppe, mit der sich der katholische oder auch evangelische Christ in Deutschland identifiziert? Zweitens: Ist der Verdacht begründet, dass dieser Konflikt mindestens seit den Kreuzzügen immer wieder politisch stilisiert wird?

Auch was das Beste für den Araber ist, scheint der Autor genau zu wissen: die soziale Marktwirtschaft. Denn, so die Begründung, „wie sich nicht nur im Westen, sondern eben auch in Entwicklungsregionen auf allen Kontinenten gezeigt hat, ist auf Dauer eine demokratische Transformation am besten geeignet, die politischen, aber auch die ökonomischen und sozialen Probleme zu lösen“. Und wenn diese dann in einer„Good Governance“ (Guten Regierungsführung) münde, dann winkten ausländische Direktinvestitionen. Das klingt so wenig nach Milchmädchenrechnung angesichts der (bestätigten) Annahme, dass Kapital immer dahin wandere, wo es was zu holen gibt. Als Beispiele wären hier China und Indien zu nennen, wo es mit der Rechtstaatlichkeit auch nicht allzu weit her ist, sich die Konzerne aber bereits seit Jahren die Klinke in die Hand geben.

Ein Eingehen auf die bereits lang und breit diskutierten Themen „Frauenrechte“ und „Islamismus“ möchte ich mir an dieser Stelle ersparen, um den Artikel nicht unnötig aufzublähen oder auch zu konterkarieren – das tut das Thesenpapier bereits in eindrucksvoller Weise: So heißt es auf Seite 13: „Die Frauen in der arabischen Welt haben in ihrer beruflichen Entwicklung und Partizipation oftmals nicht die gleichen Chancen. Dann aber auf Seite 16: „So machen Frauen an vielen arabischen Universitäten inzwischen mehr als die Hälfte der Studierenden aus“. So, so. Wer Näheres zu diesen Widersprüchen erfahren möchte, bitte an einschlägiger Stelle nachlesen auf den Seiten 12-14.

Die über weite Strecken eindimensionale Darstellung der arabischen Welt schließt im Thesenpapier mit „zehn Forderungen an die deutsche und europäische (Entwicklungs-) Politik“ ab. Diese lassen sich, meiner Meinung nach, in einem Satz zusammen fassen: War der Deutsche bei der ersten Kolonialisierungswelle noch zu spät gekommen, soll ihm dies nicht ein zweites Mal passieren. Als Satzsplitter aus dem Texte möchte ich meine Formulierung unterstreichend wieder geben: a) konditionale Vergabe von Hilfsleistungen, b) das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft im Nahen Osten ist verstärkt zu unterstützen, c) Regime, die sich den westlichen Anforderungen konform verhalten sind zu unterstützten und d) die Entwicklungsziele und der Umweltschutz im Nahen Osten sollen den Interessen Deutschlands und der EU dienen.

Zum Weiterlesen:

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