Museum Hinter Aegidien: Göttinnen des Jugendstils

Christina/ Mai 10, 2023/ Kultur

„Mach es selbst, mach es neu, mach es schön“, dieser Trias ist das Künstlertum in der Periode des Jugendstils unterworfen. Der kunstgeschichtlichen Epoche an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ist die laufende Ausstellung „Göttinnen des Jugendstils“ im Museum Hinter Aegidien gewidmet. Die Zusammenstellung der Exponate fokussiert sich insbesondere auf die Rolle der Frauen. Am Sonntag habe ich die Schau besucht. Im Rahmen einer Führung erweitere ich zum einen mein Wissen über die Zeit des Jugendstils. Zum anderen bin ich wieder einmal überrascht, wie viel Angst Männer vor der (zugeschriebenen) weiblichen Macht zu haben scheinen.

Vom Historismus zum Jugendstil
Am Ende des Historismus um 1895 steigt der Stern des Jugendstils langsam, aber sicher in den Kunsthimmel auf. Während im Historismus besonders in der Architektur auf ältere Stilrichtungen zurückgegriffen wurde, geht es dem Jugendstil darum, etwas Neues zu schaffen.

Der als radikaler Sprung zu bezeichnende Wandel in ein industrielles Zeitalter kann tatsächlich mit der heutigen Transformation hin zur Digitalisierung und dem Einsatz künstlichen Intelligenz verglichen werden. Die Reduzierung starken körperlichen Einsatzes durch die Nutzung von Maschinen trägt nicht nur zu besseren Arbeitsbedingungen bei. Die verbesserten Lebensbedingungen lassen die Bevölkerungszahlen sprunghaft ansteigen. So hatte zum Beispiel die Weltausstellung im Jahre 1900 in Paris unglaubliche 50 Millionen Besucher.

Im Zuge der Industriellen Revolution entstand in Deutschland eine Mittelschicht, das Bürgertum, die es nicht nur zu einigem Wohlstand gebracht hat, sondern diesen auch zeigen will. Villen und große Stadtwohnungen werden errichtet, die es einzurichten und auszuschmücken gilt. Besonders florale Muster und Drucke mit Vögeln sind beliebt. Als zentrale Merkmale dienen dekorative, schwungvolle Elemente, die das Ziel verfolgen, die Natur in die moderne Welt zu integrieren.

Zeitschrift „Jugend“ aus München
Der Begriff des Jugendstils leitet sich von der Zeitschrift „Jugend“ ab, die in München 1896 gegründet wird. Die illustrierte Wochenzeitschrift der Herausgeber, Georg Hirth und Fritz von Ostini, versteht sich als Kunst- und Literaturzeitschrift. Das von der Zeitschrift geprägte Frauenbild steht sinnbildlich für die Sicht der Männer auf Frauen aus der Zeit.

Göttin oder Furie?
Das Männerverständnis gegenüber Frauen kennt nur zwei Dimensionen: als stilisierte Göttin oder als furchteinflößende Furie. Gemäß diesen patriarchalischen Vorstellungen sind Männer entweder von der Femme fatal bedroht oder diese entsprechen dem Ideal der angepassten Gattin, die ihren zugewiesenen Platz im Leben kennt. Von der Männerwelt skeptisch beäugte Fortschritte im Leben der Frauen sind sowohl das Radfahren, das Tragen von bequemen Reformkleidern oder gar Pumphosen als auch die Aufnahme von sportlichen Aktivitäten.

Zu den emanzipiertesten Vertreterinnen der Zeit zählen sicherlich Ricarda Huch, Loie Fuller, Sarah Bernhardt, Julie Wolfthorn, Käthe Buchler und Änne Koken. Als die wohl schillerndsten Figuren sind Bernhardt und Fuller zu bezeichnen. Die französische Schauspielerin kann mit Fug und Recht als eine der ersten Weltstars bezeichnet werden. Bernhardt tritt in klassischen Dramen u.a. als Mann auf und führt auch für heutige Maßstäbe ein sehr selbstbestimmtes Leben. So soll sie sich Schönheitsoperationen unterzogen und sich als Haustier ein Krokodil gehalten haben, mit dem sie wohl sonntags auch spazieren ging. Ihre exzentrische Lebensweise bringt Bernhardt schnell den Ruf einer Femme Fatale ein. Da ist es fast eine Selbstverständlichkeit, dass Sie zahlreiche Affären, sowohl mit Männern als auch Frauen gehabt haben soll.

Ihr amerikanisches Pendent, Loie Fuller, macht mit dem so genannten Schlangentanz von sich reden. Fuller bringt als erste Farbscheinwerfer auf die Bühne, die die meterlangen Stoffbahnen, die sie auf der Bühne umherwirbelt, bunt anstrahlten. Die Künstlerin wird über ihre Bühnenshow nicht nur zentrales Motiv des Jugendstils. Fuller agiert auch als Pionierin des modernen Tanzes und als Unternehmerin. So lässt sie ihr Werk schon vor dem Durchbruch patentieren. Zudem wird für die Künstlerin zur Weltausstellung ein eigener Pavillon gebaut.

Ausnahmen bestätigen die Regel
Trotz allen Fortschritts gilt auch hier: Ausnahmen bestätigen die Regel. Einer der bekanntesten Künstler des Jugendstils ist sicherlich der Tscheche Alfons Mucha. Von Mucha ist auch die bronzene Frauenbüste, die das Symbol der Ausstellung ist. „Die Natur“, so ihr Titel, soll mit ihrer wallenden Mähne und dem Ei auf dem Kopf Ursprünglichkeit verkörpern. Eine Variante dieser Büste präsentiert Mucha auf der Weltausstellung in Paris im Jahre 1900.

Der „König des Werbeplakats“ wie Mucha auch genannt wird, agiert in einer Zeit als der Massenkonsum auflebt, Kaufhäuser und mit ihnen Werbeplakate in Mode kommen. Mit den Postern und Werbeprodukten werden Frauen zu Ikonen der Moderne und zieren auch mal als Kühlerfigur Luxusautos. Trotz allem ändert das wenig bis nichts an der gesellschaftlichen Stellung der Frau: Männer werden als Künstler bezeichnet, Frauen sind Malweiber. Eine Dame am Steuer eines Autos auf einem Werbeplakat symbolisiert, wie einfach Autofahren sein muss, wenn es sogar Frauen können. So durfte die Schriftstellerin und Wissenschaftlerin Ricarda Huch ihr Abitur nicht in Deutschland machen und ging dafür in die Schweiz. Was heute eine Selbstverständlichkeit ist, muss zu der Zeit hart erkämpft werden.

Die Ausstellung gibt somit nicht nur Einblicke in die Zeit des Jugendstils, sondern ebenso in die beschwerliche Emanzipationsarbeit der Frauen nach Gleichberechtigung, die bis heute andauert. Prädikat: sehenswert.

Göttinnen des Jugendstils, 29.03.2023 bis 10.09.2023, Museum Hinter Aegidien

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