Perspektiven des Wahnsinns

Christina/ Mai 18, 2012/ Kultur

Regisseur Kominsky hat mit dem Drama „Gelobtes Land“ (im Original „The Promise“) einen unglaublichen dichten, differenzierten und mutigen Film produziert. Offensichtlich traut Kominsky dem Zuschauer eine selbstreflexive Haltung gegenüber den geschilderten Geschehnissen zu, die einen einseitigen Blickwinkel auf Handlung und Charaktere dadurch ausschließt, dass der Zuschauer sich in die Sichtweisen und Zwänge der Protagonisten denkt und versucht zu verstehen, warum sie das tun, was sie tun. Natürlich kann man den Plot auch einseitig sehen, wenn man das will. Dadurch beraubt man sich aber der Möglichkeit zum Perspektivwechsel, ja zum Lernen aus der Geschichte, warum Gewalt Gewalt produziert und einen endlosen Teufelkreis darstellt, den vielleicht nur ein „selbstreflexiver“ Mensch im besten Meadschen Sinne zu durchbrechen vermag.

Ich werde darauf verzichten, die Handlungs des vierteiligen Films an dieser Stelle in einer Zusammenfassung zu reproduzieren. Das haben andere bereits ausreichend getan. Vielmehr geht es mir darum, nachzuzeichnen, welcher Wahnsinn sich in dem kleinen Mikrokosmos „Naher Osten“ abspielte und immer noch abspielt, und dass die Betroffenen Gefangene ihrer eigenen Geschichte zu sein scheinen, ohne Hoffnung auf Entkommen.

In der einen oder anderen Weise ist sicherlich schon jeder einmal mit dem Nahost-Konflikt in Berührung gekommen. Die meisten wohl in nachrichtlicher Form über TV oder Zeitung, andere möglichweise über Besuche vor Ort. Den Konflikt in all seien Facetten zu fassen, scheint ein schier unmögliches Unterfangen zu sein, denn es gibt sie einfach nicht, weder, die eindeutige Opfer- oder Täterposition, noch die einfache Lösung der komplexen Situation.

Was meine ich damit? Nehmen wir z.B. die Eingangssequenz des Filmes. Der Protagonist „Len“, ein britischer Soldat, der zunächst nach Ende des zweiten Weltkriegs in Deutschland mit seinen Kameraden Konzentrationslager im wahrsten Sinne des Wortes „aufräumt“, wird mit dem Unvorstellbaren konfrontiert. Leichenberge werden mit Bulldozern zusammengeschoben. Ich habe mich gefragte, was das Schrecklichste an dieser Szene ist. Der Auslöser, der mich dazu bringt, mich spontan dafür zu schämen, dass ich zu dem Volk gehöre, dass diese Taten in millionenfacher Höhe zu verantworten hat ist die Tatsache, dass diese „Skelette mit Haut“ keine Skelette sind, wie man sie vielleicht aus dem Biologieunterricht kennt. Nein, diese Skelette haben noch Augen, mit denen sie den Zuschauer anschauen, ja geradezu durchbohren können. Genau diese Gefühl muss auch Len überkommen und festgehalten haben, als er nach 1945 nach Palästina kommt, das zu der Zeit noch unter britischem Mandat stand. Denn auch hier, so stellt er fest, sind die Juden, die nach unvorstellbarem Grauen mit dem buchstäblichen nackten Leben davon gekommen sind, alles andere als erwünscht. Denn es kommen einfach zu viele! Zwar hatten die Briten sowohl den Arabern als auch den Juden eine eigene „Heimstätte“ versprochen, wurden dann aber sehr schnell von ihrer eigenen Chuzpe nicht nur überrascht, sondern gnadenlos überfordert. Scheinbar, so naiv dies anmuten mag, hatte niemand damit gerechnet, dass die Juden die Einladung tatsächlich annehmen.

Die überforderte Besatzungsmacht fängt die flüchtenden Juden gleich am Strand ab und steckt die bereits traumatisierten Menschen erneut in Lager. Wahrscheinlich lässt sich selbst mit größter Anstrengung kaum erahnen, welche Gefühle und Angstzustände das in den Betroffenen auslöst, die zunächst nichts anderes wollen als eine Heimat und in Frieden leben.

Tatsächlich ist die versprochene Heimstatt aber nicht unbewohnt. Neben der Besatzungsmacht gibt es da noch die eigentlichen Einwohner Palästinas, die Palästinenser. Für diese Menschen müssen die Vorgänge eine absolute Unverständlichkeit bedeuten. Sie haben weder etwas mit dem zweiten Weltkrieg zu tun, noch gab es eine Mitsprache beim Versprechen der Briten, Juden in Palästina anzusiedeln. Mit anderen Worten: niemand schien sich vorab Gedanken gemacht zu haben, wie das Zusammenleben von Arabern und Juden – das es übrigens vorher bereits an der Stelle geben hat – vonstatten gehen sollte, nachdem Massen von Flüchtlingen kamen, von denen keiner wusste, wo sie unterzubringen sein.

Ohne es werten zu wollen, sollte es nachvollziehbar sein, dass die jüdischen Flüchtlinge nur einen Gedanken hatten: eine eigene Heimat zu finden, koste es was es wolle und niemals wieder als „Schafe zur Schlachtbank“ geführt zu werden, wie sie es in Nazi-Deutschland (und darüber hinaus) hatten erdulden müssen. Wie Gewalt aussieht und mit welchen Mitteln Terror ausgeübt wird, hatten sie ja lange genug miterleben müssen, ohne die Chance, dieses Trauma verarbeiten zu können. Unverarbeitete Trauma jedoch und da beginnt die Tragödie, können nur weitergegeben und wiederholt werden.

Konsequenterweise scheinen sich die Juden bis heute nicht von der Angst befreit zu haben, wieder alles zu verlieren, wieder heimatlos zu sein, wieder hilflos einem ungewissen Schicksal gegenüber zu stehen. Nicht anders lässt sich das zum Teil irrationale Verhalten des israelischen Staats gegenüber den Palästinsern erklären. Der jüdische Staat ist Gefangener seiner eigenen Angst. Egal, wie hochgerüstet und gut ausgebildet der Staat und seine Soldaten sind, die Angst wird sie nie loslassen. Und diese Angst und die daraus entstehende (hilflose) Gewalt wird von Generation zu Generation weitergegeben.

Auf der anderen Seite steht die arabische „Urbevölkerung“ des Landes, die – für mein Verständnis – unverschuldet in das Trauma der Juden geraten ist und mittlerweile selber traumatisiert wurde mit den oben genannten Konsequenzen. Und damit sind wir genau dort angelangt, was ich am Anfang des Artikels als den „Teufelskreis der Gewalt“ bezeichnet habe, der immer wieder neue Nahrung findet (in Form von terroristischen Anschlägen) und neue perfide Reaktionen (den Bau der israelischen Mauer durch palästinensisches Gebiet) hervorruft. Diesem Teufelskreis scheint nicht nur die betroffene Region, sondern die ganze Welt hilf- und ratlos gegenüberzustehen. Anstatt die Wurzeln der Übels (der Traumata) zu behandeln, werden wirtschaftliche und politische Eigeninteressen von Gruppen auf beiden Seiten verhandelt und in den unübewindlichen Fokus gestellt – zum Leiden der machtlosen Bevölkerungsteilen in beiden Lagern. Mit den Worten Paul Hardcastle’s „they are still fighting“.

Zum Weiterlesen:

Share
Share this Post