Wider der Verunsicherung

Christina/ September 30, 2012/ Kultur

Unter dem Titel „Kommt die Gewalt auch zu uns?“ trat am vergangenen Dienstag (25.09.2012) im Bayrischen Fernsehen die Münchner Runde zusammen. Teilnehmer der Runde waren Innenminister Hans-Peter Friedrich, der „Nahost-Experte“ Peter Scholl-Latour (mittlerweile 88 Jahre!!) und Lamyar Kaddor, Vorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes.

Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich nötig ist, Diskussionsrunden rund um das Thema Islam mit reißerischen Titeln für eine breite Masse vermeintlich attraktiv zu machen. Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – und dazu darf man die Regionalprogramme wie den BR sicherlich getrost zählen, ist es die – „Vielfalt im Rundfunk zu gewährleisten“. Die pauschale Schwerpunktsetzung liegt dabei auf Kultur, Information und Bildung.

Ob öffentlich-rechtliche Sender diese Aufgabe hinsichtlich der ausufernden Debatte um das „Islam-Video“ in ausgewogener Weise wahrnehmen, so dass sich der interessierte Bürger – der ja immerhin mit seinem Geld diese Sendungen bezahlt – im Anschluss sein eigenes Bild machen kann, wage ich zu bezweifeln. Abgesehen davon, dass vermeintliche Nahost-Experten wie Herr Scholl-Latour sich in hohem Alter peinliche Fernseh-Auftritte (Stichwort: „Eine Intoleranz der Aufklärung“, eine unverständliche Aussage, die durch ein Stirnrunzeln der Moderatorin quittiert wird) selbst ersparen sollten, hat es keine drei Minuten gedauert, bis die Diskussion, gelenkt durch Friedrich, auf das allseits beliebte Thema der Bedrohung durch Salafisten in Deutschland kam. Zunächst versuchte Friedrich durch Aussagen wie „Es gibt gegen den Islam (in Deutschland – Anm. d. Red.) den ein oder anderen Vorbehalt“ die wachsende Islamfeindlichkeit zu bagatellisieren. Anschließend doziert er, dass es mittlerweile 3.800 Salafisten in Deutschland gebe, die den öffentlichen Frieden in Deutschland bedrohten und gewaltbereit sein. Zwar gebe es aktuell keine Anzeichen für ein Anschlagsvorhaben in Deutschland, aber man behalte die Sache im Auge.

Die Folgen einer solchen undifferenzierten Panikmache, die offensichtlich in das Unterbewusstsein eindringt, lassen sich ganz einfach beschreiben. Einen Tag nach der Ausstrahlung der Sendung stehe ich in Mainz auf dem Bahnhof. Ich warte auf die S-Bahn nach Frankfurt. Auf dem Bahnsteig sehe ich aus den Augenwinkeln zwei Männer in offensichtlich traditioneller Kleidung mit Rauschebärten stehen. Aussehen und Aufmachung wie sie uns täglich in den vermeindlichen Massenprotesten aus der „Arabischen Welt“ ins heimische Wohnzimmer übertragen werden und offensichtlich nicht ihre Wirkung verfehlen. Ich nehme wahr, dass einer der beiden Männer Fotos mit einer Digitalkamera schießt. Zwei Männer in touristischer oder terroristischer Mission? Unglaublich aber war, ertappe ich mich bei dem Gedanken, als die beiden Männer in diesselbe S-Bahn steigen wie ich, ob die wohl Sprengstoffgürtel unter ihrer weiten Kleidung tragen und vorhaben, die S-Bahn förmlich in die Luft zu sprengen. Unruhig stelle ich fest, das ich mit dem Rücken zu den beiden Männer sitze und sie somit nicht beobachten kann. Panisch suche ich nach einer Fluchtmöglichkeit im Falle einer Sprengung. Würde ich es rechtzeitig schaffen in den nächsten Waggon zu flüchten, bevor ein „Allahu akbar“ erklingt und die Tat ankündigt?

Völlig aufgelöst beobachte ich die Mitreisenden. Haben Sei die Gefahr bereits entdeckt? Sind die Anderen genauso nervös wie ich? Obwohl mir die Absurdität der Situation bewusst ist, kann ich meine wirren Gedanken nicht abschalten. Ich versuche mir selber zu sagen, dass das hier jetzt einfach lächerlich ist. Ich beruhige mich aber erst, als zwei ausländisch (türkisch- oder arabischstämmig) aussehende Fahrkartenkontrolleure die Szenerie betreten. Ich denke, na, die werden doch ihre eigenen Leute nicht in die Luft sprengen. Schließlich bin ich abgelenkt, als die beiden eine Schwarzfahrerin entdecken.

Kann die Verunsicherung der Bürger – und ich bin sicherlich nicht die Einzige, die mit abstrusen Fantasien durch die Gegend läuft – wirklich das Ziel von Dokumentationen, Diskussionsrunden und Ähnlichem im Fernsehen sein?

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