Zwölf Wochen in Riad
Ambiguitätstoleranz praktizieren: So geht’s
„Zwölf Wochen in Riad“ heißt das Buch der Journalistin Susanne Koebl. Der Untertitel dazu könnte lauten: „Warum der Westen lieber auf lukrative Aufträge als auf Menschenrechte setzt“. Tatsächlich lautet er: „Saudi-Arabien zwischen Diktatur und Aufbruch“. Ist das eigentlich eine Entweder-oder-Frage? Wenn ich an China denke, so scheint beides gleichzeitig möglich zu sein. Pauschal zugespitzt ließe sich angesichts eines Fluges von 100 deutschen Firmenvertretern im August dieses Jahres nach Saudi-Arabien trotz corona-bedingter Einreisebeschränkungen die süffisante Frage stellen: „Was ist uns mehr wert? Die Verbesserung der Menschenrechtssituation im Königreich oder die lukrativen Infrastrukturaufträge in Höhe von mindestens 60 Milliarden Euro? Wir reden hier von einem Land, dem langsam aber sicher das Öl ausgeht. Ganz zu schweigen von den bereits geringeren Einnahmen durch die massiven Ölpreisschwankungen in diesem Jahr.
Weitere von den Geschäftsleuten organisierte Flugreisen gingen übrigens ins so menschenrechtsfreundliche Länder wie Russland, China oder auch Südafrika. Da mutet es fast grotesk an, dass die Nachrichten auf den öffentlich-rechtlichen Sendern über den Nawalny-Skandal rauf und runter berichten, während hinterrücks die „Business people“ unbehelligt ihren Interessen nachgehen. Ist das ein Fall von „Honni soit qui mal y pense“, ein Schelm, der Böses dabei denkt?
Zwischen Genie und Wahnsinn?
Aber zurück zum Werk von Susanne Koebl. Spätestens seit dem spektakulären wie abscheuungswürdigen Mord am saudi-arabischen Journalisten Jamal Kashoggi dürfte der neue heimliche Herrscher im saudischen Königshaus auch vielen Deutschen ein Begriff sein: Mohammed bin Salman sein Name, auch kurz: MbS genannt. Dieser als äußerst ehrgeizig geltende Sproß des Hauses al-Saud machte zunächst über Reformen von sich Reden. Dazu gehörte einerseits die längst überfällige Fahrerlaubnis für Frauen; andererseits waren es Veranstaltungen wie Pop-Konzerte mit westlichen Showstars, wie z.B. Mariah Carey. Nur kurze Zeit später zerstört er diesen positiven und ungewohnt progressiven Eindruck wieder als er am 4.11.2017 fast 300 einflussreiche Persönlichkeiten des Königreiches unter der Anklage der Korruption verhaften und in das Luxusgefängnis „Ritz Carlton“ einsperren lässt. Auch diese Aktion ist bislang einmalig in ihrer Geschichte.
Vieles über das Koebl in ihrem Buch berichtet, hat man auch bereits an anderer Stelle gelesen: Unterdrückung der Menschenrechte, Unterdrückung von Frauen, die ewigen Streitereien mit dem Iran, um die Vorherrschaft im Nahen Osten, die Zwistigkeiten mit Katar und der nicht enden wollende Krieg im Jemen. Es geht auch um die Qualen arrangierter Ehen oder die schlechte Behandlung von Gastarbeitern. Aber auch hier unterscheidet sich die saudi-arabische Gesellschaft nicht so sehr vom Westen: Denn auch bei uns werden Ehefrauen schlecht behandelt oder Gastarbeiter ausgebeutet, siehe die unlängst medial diskutierten Skandale in der Fleisch- und Bauindustrie.
Aber jenseits der bekannten Stories, die vielleicht der Vollständigkeit halber in jedes gute Buch über Saudi-Arabien gehören, gibt es auch durchaus Neues und Persönliches zu entdecken. Letzteres macht Koebls Buch erst interessant.
Persönliche Geschichten als Zugang zur Gesellschaft
Es sind die persönlichen Begegnungen über die Koebl schreibt, die den Leser einen Zugang zur saudi-arabischen Gesellschaft finden lassen: Zu den Hoffnungen der jungen Leute und der Hoffnungslosigkeit der Randgruppen, wie den Schammar oder den Schiiten.
Nach wie vor ist Religion nicht nur die Kraft, die die Gesellschaft mit Verboten zusammenhält, sondern auch eine Instanz, die z.B. über Fatwa TVs mit Rat und Tat zur Seite steht. Die junge Generation zeigt sich dabei zuversichtlich und glaubt an Veränderungen: „Wir werden irgendwann ein richtiges Parlament haben“ oder „Irgendwann gibt es hier Bars.“ Wann „irgendwann“ sein wird, weiß niemand so recht. Aber „irgendwann“ klingt einfach hoffnungsvoller als „niemals“. Insgesamt, so könnte das Fazit von Koebls Buch lauten, deutet sich im Königreich ein Paradigmenwechsel an, der größtenteils von wirtschaftlichen Zwängen bestimmt wird: Der Luxus wird weniger, die Autos kleiner, die Frauen einflussreicher, die Staatskassen sind leerer, der Ölpreis ist niedriger.
Urlaub in Saudi-Arabien?
Die Not macht bekanntlich erfinderisch. Momentan mag es kein Thema sein, weil der internationale Flugverkehr fast vollständig in der Corona-Pandemie zum Erliegen gekommen ist. Aber: Seit Sommer 2019 öffnet sich das Königreich langsam für den Tourismus aus fünfzig Ländern. Reisende aus Europa sollen ihr Visum künftig direkt bei der Einreise oder vorab online erhalten können. Saudi-Arabien kann mit einigen Stätten locken, die in das UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen wurden. Ob das dem Urlauber reichen wird, sei dahingestellt. Zu erwarten ist, dass es einen Dresscode geben wird und auch die Hitze dürfte den ein oder anderen von einem unbeschwerten Urlaub im Königreich absehen lassen.
Und trotzdem: Es scheint einiges in Bewegung zu kommen, so manches Zugeständnis ist gewollt, anderes ist wirtschaftlich erzwungen.
Zum Weiterlesen:
- Focus Money: Business must go on.
- Reuters: Wirtschaft fliegt 100 Firmenvertreter nach Saudi-Arabien.
- taz: Durch das wilde Schammarstan.
- Focus online: Saudi-Arabien will sich öffnen – führt jedoch „Anstandskatalog“ für Touristen ein.