Buchrezension: Die Freiheit, frei zu sein

Christina/ August 1, 2021/ Philosophisches

Hannah Arendt hat in den siebziger Jahren aus ihrem amerikanischen Exil einen Essay verfasst: Die Freiheit, frei zu sein. Der Aufsatz gibt eine genaue Definition, was Freiheit ist und was sie nicht ist. Nämlich im Arendtschen Sinne nicht nur die Abwesenheit von Furcht und Zwängen sondern vielmehr die Möglichkeit zur politischen Mitbestimmung und Formung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Ein Umstand, den Westeuropäer vermutlich mit Erstaunen während der Arabischen Rebellion aus der Ferne beobachtet haben. Eine Tatsache aber auch, die zum Beispiel mit der Gelbwestenbewegung in Frankreich den Okzident (wieder) erreichte und mittlerweile in Zeiten von Corona-Restriktionen auch wieder die Deutschen beschäftigt. Schon damals schrieb Hannah Arendt: „Mein Thema heute ist, so fürchte ich, fast schon beschämend aktuell.“ Dem ist auch aus heutiger Sicht nichts hinzuzufügen.

Was ist Freiheit?
In der Begriffsbestimmung von Hannah Arendt ist Freiheit, im „Wesenskern der Zugang zum öffentlichen Bereich und die Beteiligung an den Regierungsgeschäften“ (S. 16). Die Autorin sieht in dem Begriff der Freiheit also mehr als ein Leben, das frei von Unterdrückung, Furcht, Armut und Not ist, sondern vielmehr darin besteht, „ein politisches Leben zu führen“ (s. ebd.).

Gesehen und respektiert werden
John Adams zitierend steht folgender Ausgangspunkt im Raum, dass jeder Mensch, egal, ob reich oder arm, jung oder alt, den starken Wunsch hat, von seinen Mitbürgern, Freunden, Bekannten „gesehen, gehört, angesprochen, anerkannt und respektiert zu werden.“ Jenseits eines psychologischen Grundrechts sieht Adams in der krankhaften Ausprägung die „Begierde, der Beste zu sein.“ Hier möchte ich differenzieren: Zunächst ist es in meinen Augen nichts Verwerfliches, von anderen wahrgenommen werden zu wollen, solange dieser Wunsch keine narzisstischen Züge in sich trägt und damit ins Pathologische abdriftet. In diesem Zusammenhang allerdings steht der Tyrann im Fokus, dem es nicht darum geht, der Beste zu sein sondern „zu herrschen und sich damit aus der Gesellschaft anderer auszuschließen“ (S. 21). Und genau dieser Typus ist es, wir denken hier an einen Erdogan, einen Putin, einen Trump oder auch Urban, der gegen die Freiheit des Einzelenen arbeitet und den es in einer Revolution zu überwinden gilt. Denn die Freiheit, wie Arendt sie versteht, erfordert Gleicheit unter allen Menschen. Diese Art von Freiheit aber, so stellt Arendt in ihrem Essay weiterhin fest, sei oftmals „das Privileg einiger weniger gewesen“ (S. 26)

Was ist eine Revolution?
Was ist aber nun eine wirkliche Revolution? Arendt teilt diese in zwei Phasen ein: Zunächst ginge es darum, sich von politischen Fesseln, der Tyrannei oder einer Monarchie zu befreien. Diese Phase sei von Gewalt begleitet. In der zweiten Phase ginge es darum, Freiheit zu erlangen. Und diese Freiheit bestünde nicht darin, lediglich die vorherrschende Regierungsform zu ändern, sondern verlangt nach einer neuen Gesellschaftsordnung.

Ein Beispiel aus der jüngsten Geschichte illustriert präzise, warum Arendt in diesem Kontext davon spricht, dass eine Revolution von Gewalt begleitet sei: „Terror, der losbricht, nachdem das alte Regime beseitigt und das neue Regime installiert wurde“ (S. 34). Sofort kommen mir bei diesem Satz der Iran, nämlich die Revolution von 1979 und der Umsturzversuch in Syrien in den Sinn. Beide Beispiele belegen Hannah Arendts Analyse der einsetzenden bloßen Gewalt auf das Eindrücklichste: „[…], weiht Revolutionen dem Untergang oder deformiert sie so entscheidend, dass sie in Tyrannei und Despotismus abgleiten“ (S. 34).

Mit einer weiteren Überlegung von Arendt scheint sich an dieser Stelle das Scheitern der (syrischen) Arabellion erklären zu lassen. Zwei Dinge sind für das Gelingen einer Revolution entscheidend. Das ist zum einen die Tatsache, dass es Menschen in dem betreffenden Land geben muss, „die bereit und in der Lage sind, die Macht aufzugreifen, in das Machtvakuum vorzustoßen und sozusagen einzudringen“ (S. 41). Zum anderen ist es der Fakt, dass ausländische Mächte erkennen müssen, „dass revolutionäre Praktiken irreversibel sind“ (ebd.).

Die Freiheit, frei zu sein
Die Aktualität der Arendtschen Überlegungen ist verblüffend. Nun geht es ihr im Besonderen darum, Freiheit als Teilhabe des Einzelnen am politischen Leben zu verstehen. Sei es als bloße Möglichkeit oder aktiv in Worten und Taten. Aus diesem Verständnis heraus, würde es mich sehr interessieren, was die Philosophin zur aktuellen Corona-Politik zu sagen hätte. Ich gebe offen zu, dass ich mich bis Mitte März 2020 wenig mit deutscher Politik beschäftigt habe. Tatsächlich habe ich bis dahin nie darüber nachgedacht oder es für möglich gehalten, dass meine persönlichen als selbstverständlich angesehenen Freiheiten einmal staatlich eingeschränkt werden würden, wenn auch nicht aus Gründen persönlicher Herrschaftsansprüche sondern aus dem Gedanken des Gesundheitsschutzes für den Einzelnen. Mein Punkt ist hier, dass mir plötzlich und quasi über Nacht, deutlich wurde, wie schnell sich sowohl gesellschaftliche Verhältnisse als auch politische Mitbestimmungsmöglichkeiten veränden können. Diese fortwährende Aktualität der Überlegungen, so denke ich, ist es, die Essays wie dieses zum Klassiker macht.

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