Green Border: Schandfleck der Demokratie
Wir aus dem „Westen“ werden nicht müde, der Welt zu erzählen, wie wichtig uns Menschenrechte sind. Das allerdings nur solange, wie unser eigener Wohlstand nicht bedroht ist. Wie sonst ließe sich erklären, dass wir mit unseren Steuergeldern Ex-Diktatoren wie Mubarak oder Ghaddafi und noch agierende Autokraten wie Erdogan unterstützen? Oder besser gesagt, dass wir uns mit diesen Geldern unerwünschte Migranten vom Hals halten? Und selbstverständlich möchten wir gar nicht so genau wissen, was mit diesen Zuwanderern an den Grenzen passiert. Der Film „Green Border“ der polnischen Regisseurin Agnieszka Holland führt uns das Ergebnis sehr eindrücklich vor Augen. Dabei dreht die Filmemacherin nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern zeigt ausgewogen die unterschiedlichen Perspektiven: die die Flüchtenden, der Grenzsoldaten und der Aktivisten. Prädikat: besonders wertvoll.
Die Situation
An diesem Montag sind Marco Frank, Geschäftsführer von Refugium und Swantje Schendel, MdL vom Bündnis 90/Die Grünen, vor Ort. Die beiden führen das Publikum in die Thematik ein. Es geht vorrangig um GEA, das Gemeinsame Europäische Asylverfahren. Schnell werden die Grenzen unseres Menschenrechtsverständnisses deutlich: die Abgeordneten haben sich u.a. darauf geeinigt, dass Migranten nun anstelle von 10 Tagen ganze 28 Tage inhaftiert werden dürfen. Der Kreis der „sicheren Herkunftsländer“ wurde ausgeweitet. Wer Näherees über den Umgang des Westens mit Migrationspolitik erfahren möchte, dem lege ich Jan Böhmermanns Magazin Royale Ausgabe vom Mai 2023 ans Herz. Freiheit bedeutet in diesem Kontext „Schutz der EU-Außengrenze“.
Der Film
Zugegeben ich hatte ziemlichen Respekt vor dem Film. Vorab war ich mir nicht sicher, wie viel menschenunwürdige Behandlung ich würde ertragen können. Hier zeigt sich die Stärke des Films bzw. die ausgewogene Darstellung von Agnieszka Holland. Der Green Border ist in drei Episoden aufgeteilt. Zunächst steht eine syrische Familie im Mittelpunkt. Die Gruppe sitzt den Versprechungen des belarussischen Diktators Lukaschenko auf. Über Weißrussland soll es nach Polen gehen und von dort nach Schweden, wo Verwandte leben. Nach der Ankunft in Minsk wird schnell deutlich, was die Flüchtlinge erwartet. Sie werden zu menschlichen Spielbällen der Auseinandersetzung zwischen Belarus und Polen mit brutalen Konsequenzen für alle Beteiligten: zwei Mitglieder der Familie sterben. Der Großvater wird von belarussischen Grenzsoldaten zu Tode geprügelt. Der Sohn der Familie ertrinkt im polnischen Moor.
Die Situation hinterlässt aber nicht nur psychische Spuren bei den Flüchtlingen. Auch die Grenzschützer kämpfen mit ihrem Gewissen. Mit Alkohol und Macho-Sprüchen versuchen sie sich Mut zu machen. Am Beispiel eines der Soldaten wird in alle Deutlichkeit gezeigt, wie sich auch dessen Leben durch die Arbeit an der Grenze verändert. Und dann sind da noch die Aktivisten, die „Gutmenschen“. Ich kann mich nie so richtig entscheiden, ob diese Personen wirklich an die Weltrettung glauben, nur ihren Beitrag zu einer menschenwürdigeren Welt leisten wollen oder, ob sie sich durch ihren Einsatz anderen Menschen gegenüber moralisch überlegen fühlen. Green Border verhält sich auch hier neutral und zeigt auch hier die Ambiguität und Zwiespälte der Akteure.
Die Quintessenz
Die Vielschichtigkeit des Fims und die unterschiedlichen Perspektiven der Protagonisten lassen kein einfaches Fazit zu. Vermutlich ist die Gemengelage insgesamt einfach zu komplex. In meinen Augen werden von westlichen Politikern in erster Linie Symptome und keine Ursachen des Menschenhandels bekämpft. Warum mag das so sein? Bis jetzt habe ich nur eine Erklärung für mich gefunden. Unser größtenteils sorgenfreies, bequemes und sicheres Leben beruht in erster Linie darauf, dass Menschen außerhalb der westlichen Hemisphäre unter anderen Bedingungen leben. Sie sind es, die unter fragwürdigen Bedingungen die Bodenschätze für unsere Handies, Laptops und andere Güter liefern. Mit etwas Nachdenken wird jedem bewusst werden, dass sich nicht nur die Gas- und Erdölpreise erhöhen, wenn ein weltweiter Wohlstand und demokratische Mitbestimmung zur Normalität werden. Es ist wohl eher unwahrscheinlich, dass „Billigdiscounter“ wie Primark oder TK Maxx, weiterhin 5-Euro-T-Shirts verkaufen, wenn Länder wie Bangladesh, Indien oder Vietnam ihren Arbeitern einen auskömmlichen Lohn zahlen und die 4-Tage-Woche einführen. Alles hat seinen Preis. Die Bilder, die der Film Green Border zeigt, sind der Preis den wir für unsere Freiheit, unseren Konsum und unser Menschenrechtsverständnis zahlen.