Plötzlicher Gefühlstod, Teil 5

Christina/ November 18, 2019/ Philosophisches

Don’t be reckless with other people’s heart, don’t put up with people who are reckless with yours“, Mary Schmich

„Schätzen Sie die Beziehung danach ein, was Sie Ihnen gibt, und nicht danach, welche Möglichkeiten in ihr stecken. Treffen Sie eine Entscheidung aufgrund der Wirklichkeit und nicht auf der einer falschen Hoffnung. Das Geheimnis im Umgang mit einem passiv-aggressiven Mann (PAM) besteht darin, ihn hinter sich zu lassen.“ Das schreibt der Psychologe Scott Wetzler in seinem Buch „Wenn Männer mauern.

Starker Tobak
Die Lektüre des Buches ist starker Tobak und dürfte auch den vernebelsten Frauen die Augen öffnen. Eigentlich bin ich im Laufe des Buches immer fassungsloser geworden. Der Untertitel des Werkes – Wie Sie Ihren passiv-aggressiven Mann besser verstehen und mit ihm glücklich werden – klingt bei dem Inhalt wie purer Zynismus für mich – schließlich empfieht Wetzler selber, dass es im Grund genommen besser ist einen solchen Mann zu verlassen, will man sich nicht selbst verraten.

Eines wird schnell deutlich: PAM sind Meister des Vermeidens. Sie sagen nie genau, was sie meinen und das lässt ihr Gegenüber ständig im Unklaren. Es bleibt der Partnerin nichts anderes übrig als den „Kaffeesatz“ zu lesen und wahrscheinlich falsche Vermutungen über seine Gefühlslage anzustellen. Diese Männer wollen keine Verantwortung übernehmen, diese scheuen sie wie der Teufel das Weihwasser. Gleichzeitig wollen sie andere kontrolliern (Aggressivität), dabei bleiben sie selbst aber im Hintergrund (Passivität). Wetzler erklärt, dass passive-aggressive Männer eine mangelnde Reife aufweisen, eigentlich sind sie nie so richtig erwachsen geworden. In ihrem Verhalten ähneln sie Kindern und hoffen, dass eine andere Person für sie Entscheidungen trifft.

Hitzige Auseinandersetzungen
Wenn du mit einem PAM liiert bist, dann kannst du dich auf hitzige Auseinandersetzungen zu den Themen Nähe, Abhängigkeit, Ärger und Verpflichtung einstellen. Dabei wird natürlich kein einziges dieser Themen konkret angesprochen. Ärger als Gefühl spielt dabei eine zentrale Rolle, denn genau den will sich der passiv-aggressive Mann ja nicht eingestehen. Hinter dem Ärger liegt seine Angst. Die Angst vor zu viel Nähe und Abhängigkeit. Um diesen Ärger auszudrücken braucht er jemanden, dessen Wünschen und Erwartungen er sich widersetzen kann. Also vermutlich deinen. Wie verletzend und verwirrend das auf Dauer ist, brauche ich dir vermutlich nicht zu erklären.

Dass der passiv-aggressive Mann gerne Spielchen spielt, habe ich bereits im dritten Teil meiner Serie erläutert. Hier befinden wir uns wieder im sogenannten Drama-Dreieck von Opfer-Verfolger-Retter. Dabei stilisiert sich der passiv-aggressive Mann gerne als Opfer der Situation. Aber Vorsicht: Sobald du dich in die Rolle der Retterin begibst, ändert der PAM seine Taktik und wird zum Verfolger. Im Wesentlichen sind es zwölf Verhaltensweisen, die beim passiv-aggressive Mann mehr oder weniger stark ausgeprägt sind:

  1. Angst vor Abhängigkeit
  2. Angst vor Nähe
  3. Angst vor Konkurrenz
  4. Zerstörungswut
  5. Chaos erzeugen
  6. Sich als Opfer fühlen
  7. Ausflüchte machen und lügen
  8. Dinge hinauszögern, bis der andere aufgibt
  9. Ständiges Zuspätkommen und Vergesslichkeit
  10. Zweideutigkeit
  11. Schmollen bzw. „sich tot stellen“

Besser die Reißleine ziehen
Klingt nicht so wahnsinnig verlockend, sich so jemanden in sein Leben zu holen, richtig? Und die Tatsache, dass sein Verhalten von psychologischen Ursachen wie Ärger, Unselbständigkeit und Angst vor Eigenverantwortung oder Macht ausgeht, bedeutet keineswegs, dass er deshalb für sein Handeln weniger verantwortlich ist. Wenn man die passive Aggression versteht wird das verletzende Verhalten dadurch nicht erträglicher. Passive Aggression verursacht Schmerz und Verwirrung. Fakt ist auch, diese Menschen quälen nicht nur andere sondern auch sich selbst. Und für mich ist es das Normalste der Welt, dass ich jemanden, an dem mir viel liegt, helfen möchte. Ich sehe ja nicht nur seine negativen Seiten, er hat ja auch positive, die er m.E. stützen und ausbauen sollte. Aber das alles muss und sollte aus Gründen des Selbstschutzes und auch der Selbstliebe Grenzen haben. Werden die Grenzen zu oft überschritten, dann muss ich die Reißleine ziehen, so bitter das vielleicht auch ist. Aber es bleibt mir letztendlich nichts anderes übrig als davon auszugehen, dass der andere trotz aller Schwierigkeiten offensichtlich nicht stark genug motiviert ist zu erkennen, wie er die Beziehung torpediert und dass er immer wieder das selbe Muster dabei abspult: Versprechungen machen und diese nicht einhalten, Lügen auftischen, die ziemlich offensichtlich sind, einen Streit vom Zaun brechen, sobald er mit seiner Taktik auf Gegenwehr stößt.

Ein trauriger Widerspruch
Das völlige Paradoxon an der Situation ist, dass er letztendlich alles hätte bekommen können, was er sich eigentlich wünscht: Akzeptanz, Anerkennung, eine Partnerschaft auf Augenhöhe ohne Machtkämpfe, Unterstützung, Zuverlässigkeit, eine gesunde statt eine fantasierte Abhängigkeit. Aber gut, da verhält es sich vermutlich in Partnerschaften wie auf dem freien Markt: Angebot und Nachfrage. Und offensichtlich gab es hier keine Nachfrage nach den eben genannten Ausdrücken der Zuneigung. Die Frage, die ich mir in solch einer Beziehung stelle ist, was erwartet der andere eigentlich von dieser Partnerschaft? Vermutlich hat er sich diese Frage überhaupt nicht gestellt, weil sie für ihn keine Relevanz besitzt. Und eigentlich wusste ich auch nie so wirklich etwas über ihn. Alle Versuche, etwas wirklich Persönliches zu erfahren wurden immer mit den Worten: „Ich dachte, das interessiert dich gar nicht“ abgeschmettert (Captain Subtext sagt: „Wenn ich dir etwas über mich erzähle, gebe ich dir Macht über mich“). Natürlich interessiert mich das – deswegen bin ich ja mit dieser Person zusammen, WEIL ich mich für sie interessiere. Der PAM will von anderen akzeptiert werden, ABER: Solange der PAM sich von der Anerkennung anderer abhängig macht und den Angepassten spielt, zerstört er das, wozu er werden könnte; und solange er umgekehrt unbegründete Machtkämpfe entfacht, bekommt er nicht, was er will. Der PAM wartet darauf, dass seine Partnerin etwas in Gang setzt, daraufhin fühlt er sich dann von ihr bevormundet. D.h. es ist letztendlich egal, was du tust, es wird immer falsch sein.

Der perfekte Heiratsschwindler
Ein Satz, den ich bei Wetzler gelesen habe, hat mich besonders berührt: „Viele passiv-aggressive Männer sind Verführungskünstler, die Sie dazu bringen, wider besseren Wissens zu handeln. Sie nutzen Ihren Optimismus und Ihre romantischen Gefühle aus. Er weiß, was Sie wollen und er weiß auch, dass er es Ihnen nicht geben kann; deshalb verkauft er Ihnen Versprechungen.“ Ich kann mich daran erinneren, wie ich zu Beginn unserer Beziehung immer das Gefühl hatte, dass mein Freund der perfekte Heiratsschwindler wäre: immer lächelnd (auch beim Lügen), völlig unverbindlich, charmant, distanziert und immer bereit, sofort den Rückzieher zu machen, sobald es ihm zu nahe wird. Wenn es um das Eingstehen von Abhängigkeit geht, atmet der passiv-aggressive Mann tief durch und sucht das Weite. Abhängigkeit führt dazu, dass er sich schwach, unfähig und vor allem bedürftig fühlt. Er muss lernen, Abhängigkeit als etwas Normales zu akzeptieren und Beziehungen nicht als ständige Machtkämpfe zu sehen.

Die Spielstrategie
Seine Spielstrategie: Liebe („Ja klar, ich übernachte gerne bei dir.“), Wärme („Dinge reparieren“), Abkühlung („Ich muss bei mir noch dringend etwas reparieren“), Katastrophe („Wir passen nicht zusammen“), Schadensbegrenzung („Kann ich nochmals mit dir reden?“ – Das ist das Muster „der Morgen danach“ aus Teil drei).

Hier ein typisches Beispiel für ein verkorkstes Wochenende:

Freitagabend: „Klar, ich übernachte gerne bei dir.“ Samstag: der passiv-aggressive Mann kommt mal wieder zu spät zur Verabredung. Zum Übernachten hat er nichts dabei, außer einer Ausrede: „Oh, die Sachen habe ich vergessen.“ Captain Subtext sagt: „Ich habe nicht die Absicht bei dir zu übernachten, ich hoffe, du merkst es auch so.“ Auch am Samstag, etwas später: „Ich könnte ja demnächst mal ein paar Sachen von mir mitbringen und hier lassen.“ Captain Subtext: „Ich denke natürlich gar nicht daran, das zu tun. Es macht sich aber gut, das zu sagen.“ Sonntagmorgen: „Ich muss heute noch ganz dringend etwas bei mir reparieren“ (obwohl ich die Ersatzteile, die ich dafür benötige erst in der nächsten Woche kommen). Captain Subtext: „Ich brauche dringend eine Ausrede, damit hier nicht zu viel Nähe aufkommt“. Oder: „Ich hänge an dir“, kurze Zeit später: „Wir passen einfach nicht zusammen, ich empfinde nicht genug für dich. Reicht dir das denn so?“ Captain Subtext: „Jetzt nimm mir doch endlich die Entscheidung dafür ab, dass wir uns trennen.“ „Ja, willst du denn noch in den Urlaub fahren?“ Captain Subtext: „Ich will es nicht mehr bzw. wollte es nie, die Rolle der Spielverderberin möchte ich aber gerne dir in die Schuhe schieben.“

Wenn der passiv-aggressive Mann sich trennen will, richtet er es so ein, dass Sie mit ihm Schluss machen müssen. Ein PAM WILL, dass Sie die Verantwortung dafür übernehmen, dass die Beziehung gescheitert ist, dieses Ziel suggerieren Sätze wie: „Es ist eigentlich eine Idiotie, dich aufzugeben, aber wahrscheinlich ist es jetzt zu spät.“ Damit hat er die Gelegenheit, sich selbst zu bedauern und dir Schuldgefühle zu vermitteln, weil du ja ihn verlassen hat. Diese Schuldgefühle haben sich allerdings bei mir nicht eingestellt, obwohl er davon ausgegangen ist.

Der Mangel an Initiative entpringt beim passiv-aggressive Mann eigentlich der Angst, zurückgewiesen zu werden. Die Hoffnungslosigkeit siegt über den Wunsch, die Herausforderung anzunehmen und neue Möglichkeiten auszuprobieren. Ratschläge anzunehmen ist für ihn ein Beweis des Versagens, dies quittiert er mit einem: „Das verbitte ich mir.“

Ich weiß nicht, welchen Eindruck ihr mittlerweile gewonnen habt, aber vermutlich nicht den, dass es sich lohnt, sich für einen solchen Mann selbst zu verleugnen, die eigenen Bedürfnisse hinten anzustellen und sich ständig zurückweisen zu lassen. Ich denke, wer ein solches Verhalten toleriert, der wertet sich selbst ab. Darauf zu hoffen, dass ein PAM die Entscheidung trifft, sich zu ändern halte ich für so wahrscheinlich, wie die Annahme, dass die katholische Kirche in Kürze das Zöllibat abschaffen wird. Und letzteres ist vermutlich noch glaubwürdiger.

Deshalb halte ich es lieber mit der Little River Band: „This time I am playing to win.“

Vorschau: In meinem sechsten und letzten Teil dieser Serie möchte ich euch noch erzählen, was es mit den Arschengeln auf Teil eins auf sich hat.

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