Quo vadis Europa?

Christina/ Mai 31, 2015/ Philosophisches

Flüchtlinge, Flüchtlingsströme und -schicksale, das alles fand für mich bislang im Fernsehen statt, also mit viel Abstand zum wirklichen Geschehen, zugegebenermaßen. Was es heißt, mit der „Flüchtlings-Situation“ direkt konfrontiert zu werden, konnte ich vor Kurzem auf meiner Rückreise von Südtirol nach München und zuletzt gestern im Theater in dem Stück „Fliehen & Forschen“ erfahren.

Es ist erst meine zweite Fahrt mit dem Eurocity zwischen Verona und München. Meine erste Fahrt mit dem „Brennerexpress“ hatte genau eine Woche früher in umgekehrter Reihenfolge stattgefunden. Auch auf der Hinfahrt waren ein paar Afrikaner im Zug gewesen. Aber zum Wandern wollte von denen wohl keiner. Als ich dann die Rückfahrt von Bozen nach Deutschland antreten will, stutze ich aber schon, als ich auf den Bahnhof komme und den überfüllten Bahnsteig sehe. Die wollen alle in den Eurocity?, dachte ich zunächst. Menschen, die T-Shirts mit der Aufschrift „Aid Worker“ trugen, fielen mir auf. „Diese“ Afrikaner scheinen wohl keine Urlauber sondern tatsächlich Flüchtlinge zu sein.

Tatsächlich ist der Zug dann sehr voll. Fast alleine sitze ich in „meinem“ Waggon mit zahlreichen Afrikanern, die sich angeregt unterhalten. Ich quetsche mich in meinen Sitz, lese ein Buch und ertappe mich aber immer wieder dabei, dass ich meine Sitznachbarn beobachte. Ich frage mich, wo die Afrikaner wohl herkommen, warum sie in diesem Zug sind, was sie wohl erlebt haben. Ich frage mich aber auch, was sie wohl in Deutschland machen werden und ob sie in München bleiben?

Die Afrikaner wirken auch mich nicht unglücklich, traumatisiert oder als wären sie ‚gerade mit dem Leben‘ davongekommen. Aber natürlich weiß ich es nicht, ich vermute es nur. Tatsächlich mache ich mich noch kleiner in meinem Sitz als mein Sitznachbar einschläft und sein Kopf und seine Hand auf „meine“ Seite fallen. Zugegeben, toll finde ich das nicht. Die Hand lege ich auf „seinen“ Sitz zurück. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich das in seinem Land tun würde. Oops, verhalte ich mich gerade typisch deutsch oder gar „flüchtlingsfeindlich“? Ich weiß es nicht, aber ich will seine Hand einfach nicht auf meinem Knie.

Als wir in München ankommen bemerke ich, dass viele Bundespolizisten auf dem Bahnsteig stehen und wohl schon die Flüchtlinge erwarten? Ich schaue in die Gesichter der Polizisten. Besonders freundlich sehen sie nicht aus – sie schauen eher so, als würden sie „schwarzen Schafe“ unter den Flüchtlingen aufspüren wollen. Auch das natürlich nur ein Eindruck, eine Vermutung.

Als ich in meinem Anschlusszug sitze, denke ich über mein Verhalten, meine Gefühle und meine Gedanken nach. Ich stelle fest, dass es etwas ganz anderes ist, Flüchtlinge in Booten im Fernsehen zu sehen oder neben ihnen im Zug zu sitzen. Es ist anders, fremd? Aber warum, weil ich voll mit Clichés bin? Weil ich von den Medien und Vorurteilen beeinflusst bin? Ich weiß nichts über die Menschen, die da zu uns kommen und vielleicht geht es diesen Afrikanern genauso? Ich finde, ich sollte mir mehr Gedanken über meine Einstellung machen und woher diese kommt. Vielleicht sollten wir das alle tun, denn, könnte nicht jeder von uns einmal in eine ähnliche Situation kommen und wäre nicht jeder von uns froh, mit einem Lächeln und ohne Vorurteile willkommen geheißen zu werden?

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